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Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält

Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält

Titel: Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält
Autoren: Sennett Richard
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Kindheit in Cabrini Green, die schon sehr früh eine sehr tiefe und enge Verbindung zu einer lokalen Gemeinschaft besaßen, entwickelten dieses Gemeinschaftsgefühl in ihrem späteren Leben nicht zu einer Berufung – aber sie folgten auch nicht dem von Weber beschriebenen Weg zur Selbstbestätigung durch die Ausübung von Macht über andere. Und es war auch nicht Trauer über die Vergangenheit, die sie in ihrem Wunsch, »etwas zurückzugeben«, leitete.
    Was ist nun aber eine Berufung zur Gemeinschaft? Lassen wir die romantischen Assoziationen einmal beiseite, die mit der Erfüllung des eigenen Schicksals in einer Berufung einhergehen. Dann stellt sich die Frage, wie man durch gemeinschaftliche Kooperation ein Gefühl innerer Sinnhaftigkeit zu entwickeln vermag. Unsere Studie endet mit drei Versionen von Gemeinschaft als Berufung, wie die Erben der Pariser Gemeinwesenarbeiter sie verwirklichten – alle drei überzeugend, vieldeutig und als Aufgaben unerledigt.

Gemeinschaft als Berufung

Auf dem Glauben basierende Gemeinschaft

    Die amerikanische Catholic-Worker-Bewegung verkörpert eine Form der Gemeinschaftsberufung. Diese Bewegung war in den 1930er Jahren wie fast alle linken Gruppen in Amerika noch klein, inspirierte aber später radikale Priester in ganz Südamerika und Südostasien, und zwar im Zusammenhang mit Veränderungen, die das Zweite Vatikanische Konzil in der katholischen Kirche herbeiführte. Als die amerikanische Bewegung gegründet wurde, fand sie ein Echo bei Mitgliedern der Katholischen Arbeiterpartei in den Niederlanden und bei kleinen antifaschistischen katholischen Gruppen in Deutschland. Von Anfang an stellte die Catholic-Worker-Bewegung das Leben der Armen in den Mittelpunkt ihrer Bemühungen. In Amerika geschah das in Gestalt der hospitality houses – einer Abwandlung der Nachbarschaftsheime, die allen Armen, ob Einheimische oder Ausländer, offenstand – und in Gestalt der von Peter Maurin und Dorothy Day gegründeten Monatszeitschrift Catholic Worker . 19
    Die hospitality houses in New York, Chicago und anderen Städten boten Unterkunft und halfen bei der Arbeitssuche. Ähnliches geschieht auch auf Farmen, die von der Organisation betrieben werden. Die Zeitschrift glich und gleicht mit ihren zahlreichen Leserbeiträgen und Leserkommentaren eher einem Online-Blog als einer herkömmlichen Zeitung. Die Häuser, die Farmen und die Zeitschrift sind offen für jeden Bedürftigen. Die praktischen Aktivitäten unterscheiden sich von denen in Booker T. Washingtons Instituten insofern, als man dort Menschen Aufgaben anbietet, ohne dabei Fertigkeiten oder Eignung zu betonen. In den hospitality houses herrschte und herrscht ein zwangloser Umgangston.
    In den Gruppen der amerikanischen Catholic-Worker-Bewegung begreift man Engagement im Sinne einer möglichst schlichten Lebensführung. Die Grundlage dieses radikalen, auf dem Glauben basierenden Engagements bildet caritas , die tätige Nächstenliebe. In der christlichen Theologie steht das lateinische Wort caritas für die aus freien Stücken gewährte Sorge um andere Menschen. Sie unterscheidet sich von der strategischen Geselligkeit, der cleveren, berechnenden Kunst, mit anderen Menschen um des eigenen Vorteils willen gut auszukommen. Caritas unterscheidet sich auch von »Altruismus« – zumindest in dem Sinne, wie der Ausdruck in der Erforschung tierischen Verhaltens verwendet wird, denn hier geht es nicht um eine Selbstaufopferung für die Gruppe wie bei Ameisensoldaten oder bei Menschen, die bereit sind, ihr Leben im Kampf zu lassen. Deshalb entwickelte Dorothy Day auch eine immer stärkere Abneigung gegen alle Formen eines militanten, organisierten Klassenkampfes. Sie dachte eher an einen Kampf im Sinne Gandhis, eine auf Gewaltfreiheit basierende Praxis, die Unterdrücker und Unterdrückte gleichermaßen verändert.
    Die Entscheidung für caritas als Grundlage des Handelns stellt die Catholic Workers vor ein besonderes Problem im Zusammenhang mit dem Paternalismus, da ihre Religion auf einer elaborierten kirchlich-paternalistischen Hierarchie basiert. Kooperation in einem Geiste des Gebens und der Gleichberechtigung lässt sich nicht leicht mit einer Unterwerfung unter die Amtskirche vereinbaren. Seit den 1830er Jahren hatten Anhänger des französischen »Sozialkatholizismus« ihren Glauben als Gegenmittel und Gegengift gegen den Aufstieg des Kapitalismus verstanden, doch diese Medizin zur Überwindung des Wirtschaftssystems musste unter
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