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Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält

Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält

Titel: Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält
Autoren: Sennett Richard
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stärkt. Kurzfristiges Engagement kann besonders verheerende Auswirkungen auf Pflichtgefühl und Loyalität haben. Die kurzfristige Orientierung hat allerdings nicht immer solche negativen Folgen. Eine ernsthafte Online-Kommunikation, wie Google Wave sie versuchte, kann kurz sein und zugleich zu starken Bindungen führen. Die Leute in meiner Google-Wave-Gruppe entwickelten ein so großes gegenseitiges Engagement, dass wir Flugzeuge bestiegen und uns trafen, als das Programm uns im Stich ließ.
    Eine der für Außenstehende nicht so sichtbaren Verbindungen zwischen Armen ist das langfristige Engagement, das auf erweiterten Familienbanden beruht. Das gilt für afroamerikanische und koreanische Amerikaner geradeso wie etwa für Türken und Marokkaner in Westeuropa. Die rechtliche Definition von Familie stellt meist auf Blutsverwandte ab, die unter demselben Dach leben. Die Sozialpolitik neigt darüber hinaus dazu, die aus Eltern und Kindern bestehende Kernfamilie in den Vordergrund zu rücken. 16 Für die Armen, ob nun Einwanderer oder nicht, vermitteln die auf Wohnung und Kernfamilie basierenden Bande kein ausreichendes Bild des Netzwerks aus Engagement und Hilfe, auf das sie sich stützen. Der einzelne Haushalt mag ökonomisch eine unzureichende Grundlage darstellen. In sozialer Hinsicht kann der Wechsel junger Leute zwischen verschiedenen Haushalten die Bande in einem großen Personenkreis und generationenübergreifend stärken – eine häusliche Form von guanxi , wenn man so will. 17 Einige meiner Freunde aus Kindertagen, die einen sozialen Aufstieg erlebten und das Ghetto verließen, stellten fest, dass diese Art von Engagement sich verringerte. Die soziale Mobilität hatte zur Folge, dass sich das langfristig ausgerichtete Engagement auf die Kernfamilie reduzierte.
    Eine weitere Möglichkeit, das Engagement zu testen, ist die Zuverlässigkeit. Dieser Test gehört gleichsam in den Bereich des Vorhersagbaren, wobei das am sichersten vorhersagbare Verhalten determiniert erscheint. Bienen beschließen nicht zu tanzen – der Drang danach liegt vielmehr in ihren Genen. Engagement verliert an Zuverlässigkeit, je mehr es der Entscheidung bedarf. Veränderte Umstände und Wünsche können uns veranlassen, Engagement zurückzunehmen. Alle Primaten sind als Gruppe wie auch als Individuen in der Lage, Engagement zurückzunehmen. Menschen empfinden eine solche Zurücknahme moralisch als Verrat und emotional als Enttäuschung – als Erwachsene wissen wir jedoch, dass wir andere gelegentlich enttäuschen und andere uns gelegentlich enttäuschen werden. Für den Erwachsenen kann Engagement deshalb nicht die Sicherheit des Bienentanzes haben.
    Die Wiederbegegnung mit den Freunden aus Kindertagen weckte in mir wie in dem Meister aus der Abteilung für Abwasser- und Abfallentsorgung den Wunsch, etwas zurückzugeben. Das Leben hatte sich gut für mich entwickelt. Ich war ein ordentlicher Bürger geworden. Wenn ich in Chicago war, kehrte ich gelegentlich nach Cabrini Green zurück, begann aber auch, alle zwei Wochen samstags ein Wohnprojekt in Spanish Harlem in New York zu besuchen. Zurückgeben konnte ich, wovon ich am meisten verstand, nämlich Kindern beizubringen, Musik zu machen. Das »Zurückgeben« löste bei ihnen allerdings eine große Befürchtung aus: Was, wenn ich nicht kam, weil ich zu beschäftigt war oder an diesem Tag lieber etwas anderes tun wollte? Schließlich war diese Entscheidung ganz mir überlassen. Und weil es meine Entscheidung war, etwas zurückzugeben, galt ich in ihren Augen zu Recht als unzuverlässig, obwohl ich mich nach Kräften bemühte, regelmäßig zu erscheinen. Mit der Zeit empfand ich ihre Befürchtung und die Frage meiner Zuverlässigkeit als Belastung, und der Wunsch, etwas zurückzugeben, bröckelte.

Berufung

    Aufopferungsvoll, langfristig ausgerichtet, vom Willen abhängig und sehr fragil – diese Eigenschaften machen das Engagement zu einer Erfahrung, die untrennbar mit unserem Selbstverständnis verbunden ist. Vielleicht möchten wir die so beschriebenen Erfahrungen ergänzen, indem wir sagen, starkes Engagement enthalte auch ein Element der Verpflichtung sich selbst gegenüber. Und vielleicht wollen wir den Ausdruck »Pflicht« ein wenig entschärfen, indem wir Engagement als eine Straßenkarte begreifen, als Karte dessen, was wir mit unserem Leben anfangen sollten.
    Max Weber versuchte diese Art dauerhaften Engagements durch den Ausdruck »Beruf« zu erläutern, und zwar eher im
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