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Zurück im etwas anderen Tunesien

Zurück im etwas anderen Tunesien

Titel: Zurück im etwas anderen Tunesien
Autoren: J Derouich
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Haltestellensperrungen zu rechnen ist. Das ist doch jetzt ein Scherz! Warum?
    Es ist kurz nach 16 Uhr und warum ist mir jetzt so was von egal, da ich solche Warnungen kenne und diese meistens leicht untertrieben sind. Meine Ruhe ist dahin. Hektisch werfe ich die letzten Kleidungsstücke in den Koffer, kontrolliere noch schnell in der Wohnung, ob alle Elektrogeräte ausgeschaltet sind und ob alles verschlossen ist, was verschlossen sein sollte. Mit meinem Gepäck hetze ich die Treppen herunter und erwische so gerade den nächsten Bus. Gut, dass dieser direkt an der U-Bahn hält und ich mit dem Gepäck nur vom Bus in die Bahn umsteigen muss. Wieder nett gedacht und nicht umsetzbar. Es ist ein Stadtteilfest und genau jetzt ist diese Haltestelle verlegt worden. Na toll!
    Straße ein wenig entlang laufen, über die Kreuzung rüber, ein paar Meter über Kopfsteinpflaster rattern und so gerade eben noch die U-Bahn erwischen. Eigentlich ist es kalt draußen, aber ich schwitze schon jetzt, als wäre ich bereits in Tunesien angekommen.
    Es ist noch nicht 17 Uhr und ich hoffe, dass ich den Hauptbahnhof rechtzeitig erreichen werde. Wusste ich es doch! Ein paar Stationen vor dem Hauptbahnhof kommen die ersten Durchsagen: „Die nächste Station ist leider gesperrt und sie müssen bis zur übernächsten weiterfahren!“
    Wir rollen langsam durch die Station. Überall Polizei, wohin man auch schaut. Ich habe keine Ahnung, was hier los ist und denkemir nur, wenn diese Haltestelle schon gesperrt ist, was ist denn dann mit dem Bahnhof?
    Ich zittere mich von Station zu Station und habe enormes Glück, dass ich am Hauptbahnhof wirklich aussteigen kann. Eine Stunde später wäre diese Haltestelle nämlich geschlossen gewesen. Ich schlängel mich durch eine Traube von Polizisten und suche das nächstbeste Gleis Richtung „Einfach nur weg“ . Auf dem Bahnsteig sehe ich, dass aus den ankommenden Zügen eine dunkel gekleidete Menschenkarawane aussteigt, und von den Polizisten begleitet, Richtung Innenstadt zieht. In einem Gespräch bekomme ich mit halbem Ohr mit, dass es hier in den nächsten Tagen Demonstrationen mit Neonazis geben wird, die gerade nach und nach eintreffen. Es macht mir etwas Angst und plötzlich tauchen Bilder vor meinen Augen von den Demonstrationen in Tunesien auf.
    War es wirklich die richtige Entscheidung zu fliegen? Sollte ich nicht doch warten, bis sich die Lage entspannt hat, irgendwann nach den Wahlen? Soll ich nicht doch lieber zu Hause bleiben, wo es sicher ist?
    Blödsinn! Sicher? Schau dich doch mal um! Ist man in einem Meer von Nazis sicher? Ne, ne, ne, da setz ich doch lieber die Reise in meine Heimat des Herzens fort. Gut, dass jetzt mein Zug einfährt, so kann ich abfahren und auf andere Gedanken kommen. TUNESIEN, ich bin auf dem Weg!
    Die Zugfahrt verläuft unerwarteterweise ohne nennenswerte Komplikationen und meine Gedanken fliegen schon einmal zu meiner Familie vor. Seit der Revolution ist der Kontakt noch viel enger geworden. Diese Zeit hat doch sehr zusammengeschweißt, und seitdem jeder „offen“ reden kann, halten wir so oft es geht ein Plauderstündchen im Chat ab. Zudem habe ich dann auch das Gefühl, als wäre ich der Familie ganz nah, auch wenn wir auf zwei verschiedenen Kontinenten leben. In den letzten zwei Wochen hat der Chat geglüht, denn überall dort, wo mein Mann schon Geschenke verteilt hatte, meldeten sich die Verwandten um sich zu bedanken. Und wo sie mich schon mal an der Strippe hatten, sagten sie mir auch immer wieder, wie sie mich vermissen würden und wie sehr sie sich auf mich freuen.
    Besonders intensiven Kontakt hatte ich zu dem Familienteil, bei dem die Hochzeit stattfinden sollte. Hochzeit … Ich habe schon viele Fotos von tunesischen Hochzeiten gesehen, aber ich habe wirklich noch nie an einer teilgenommen. So hatte ich Fragen über Fragen und mit den Cousinen Noura und Leila wurde per Chat alles so gut es geht besprochen. Na ja, richtig beantwortet wurde mir eigentlich nichts und ich hatte nachher mehr Fragen als vorher, aber schon jetzt spürte ich, wie sehr sie mich in die Hochzeit einbinden wollten. Ich wurde zu jeder Veranstaltung eingeplant und sie machten sich für mich Gedanken, was ich anziehen sollte und welche Henna und Nakchatattoos für mich infrage kämen. Bei einigen Chats hatte ich wirklich den Eindruck, dass sie meine Hochzeit planen und nicht die ihrer Schwester Safia. Ich weiß auch gar nicht, wie viele Fotos sie mir von Kleidern und Tattoos gemailt
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