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Zum Glück Pauline - Roman

Zum Glück Pauline - Roman

Titel: Zum Glück Pauline - Roman
Autoren: C.H.Beck
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kam mir der Gedanke, sie könnte gar nicht da sein. Oder vielleicht war sie nicht allein? Ich zögerte. In dem Augenblick öffnete Élise die Tür.
    «Was machst du denn hier?»
    «Ich …»
    «Ich hab dich vor fünf Minuten vorbeigehen sehen. Jetzt erzähl mir nicht, dass du seit fünf Minuten dastehst und überlegst, ob du klingeln sollst.»
    «Nein, das heißt ja. Ich hab nur Angst gehabt, dich zu stören.»
    «Du störst mich nicht. Ich hab gelesen. Magst du reinkommen?»
    «Ja.»
    Ich stand im Wohnzimmer. Ich fand, es herrschte eine unheimliche Atmosphäre. Mein Blick schweifte durch den Raum. Nichts hatte sich verändert. Das Mausoleum unserer Liebe. Hier lag meine Vergangenheit begraben. Ich hätte schwören können, Élise würde alles umkrempeln, nachdem ich ausgezogen war. Vor allem auch ihr Leben. Große Umwälzungen gehen oft mit dem Ruf nach Freiheit einher. Man kann ausgehen, trinken, sich der Illusion hingeben, einen zweiten Frühling zu erleben. Doch davon war nichts zu sehen. Das Haus lag in einem finsteren Dämmerlicht. Ein spärliches Licht, das eine kleine Lampe in Sesselnähe warf, hielt das Wohnzimmer am Leben. Élise las in einem dicken Roman. Auch das trug irgendwie zum Bild des Unglücks bei. Glückliche Menschen lesen kurze Romane. Sich in dicke Wälzer zu stürzen, ist ein Anzeichen von Schwäche. Ich nahm wortlos auf dem Sofa Platz. Nach einer Weile setzte Élise ein Lächeln auf:
    «Du setzt dich einfach hin und sagst gar nichts. Weißt du, wenn man irgendwo hinkommt, nennt man normalerweise den Grund seines Besuchs.»
    «Oh pardon. Ich wollte mit dir reden.»
    «Und willst du auch was trinken?»
    «Ja, gern …»
    Sie ging in die Küche, kam mit einer Flasche Wein zurück, schaltete das Licht an, und plötzlich saßen wir im hell erleuchteten Wohnzimmer.
    «Ich bin müde», sagte sie. «Ich war gestern Abend lange unterwegs.»
    Innerhalb von wenigen Sekunden änderte sich meine Einschätzung der Lage radikal. Ich hatte geglaubt, in Sachen richtige Analyse von Situationen bedeutende Fortschritte erzielt zu haben, doch meine Gedanken waren in die komplett falsche Richtung gegangen. Élise, die mir fast wie ein Häufchen Elend erschienen war, war in Wirklichkeit schlicht k. o. Bei Lichte konnte ich jetzt übrigens auch erkennen, dass das Wohnzimmer gar nicht so aufgeräumt war. Es lagen sogar ein paar Kleidungsstücke und andere Dinge verstreut in der Gegend herum. Élise, die immer akribisch auf Ordnung bedacht gewesen war, gönnte sich also kreatives Chaos. Allein dies deutete auf einen massiven Sinneswandel hin.
    «Ach so? Du warst gestern Abend … unterwegs?», stammelte ich ungefähr eine Minute, nachdem sie ihre nächtlichen Eskapaden erwähnt hatte.
    «Ja, Paul hat mir ein Profil bei Facebook erstellt, und da hat mich ein alter Schulkamerad angeschrieben.»
    «…»
    «Das war lustig, ihn wiederzusehen.»
    Wieder einmal stellte ich fest, wie sehr die unterschiedlichstenLeben sich letztlich doch ähnelten. Es war ein Kreislauf: Man lernte sich kennen, verlor sich aus den Augen und nun war es an der Zeit, sich wiederzusehen. Man spürte allmählich, wie schwierig es war, neue Bekanntschaften zu schließen, also griff man auf die alten zurück. Das einsame Schicksal des modernen Menschen.
    «Das ist ja witzig», antwortete ich.
    «Was ist witzig?»
    «Ich hab auch eine alte Bekannte wiedergetroffen. Sophie Castelot.»
    «Von der hast du nie etwas erzählt.»
    «Sie war mit mir in der dritten Klasse. Sie ist Sexologin geworden.»
    Warum erwähnte ich sofort ihren Beruf? Hatte das irgendetwas mit Élise zu tun, dass Sophie Castelot Sexologin geworden war? In dem Moment fiel mir ein, dass ich sie gar nicht wiedergesehen hatte. Ich hatte überhaupt nicht mehr an sie gedacht. Obwohl unser Treffen so wunderbar gewesen war. Wir hatten uns vorgenommen, Kontakt zu halten, doch die Reise in die Vergangenheit hatte keine Wiederholung zur Folge gehabt. Es war schön, die Leute wiederzusehen, aber es blieb eine einmalige Sache. Auch wenn man sich gut verstand, lebte eine Freundschaft nach so langer Zeit nicht wieder auf. Es war aufregend zu hören, was mittlerweile alles geschehen war: Was für einen Beruf hatten wir? Welches Leben führten wir? Aber nachdem die zentralen Punkte abgehandelt waren, bekamen solche Treffen schnell einen etwas künstlichen Geschmack.
    «Aber du wirst ihn nicht wiedersehen», sagte ich.
    «Wieso? Wie kommst du darauf? Ich hatte einen schönen Abend.»
    «Ja, das kann
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