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Zuflucht im Teehaus

Zuflucht im Teehaus

Titel: Zuflucht im Teehaus
Autoren: Sujata Massey
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dir die Schramme an einem Nagel geholt. Den wirst du wieder reinklopfen müssen.«
    » Tansu werden verzapft, nicht genagelt.« Japanische Tischler waren besonders stolz darauf, Möbelstücke aus nahtlos miteinander verbundenen Einzelteilen zu bauen, die sich in der Feuchtigkeit des Sommers ausdehnen und im Winter wieder zusammenziehen konnten, ohne zu brechen.
    »Tja, dann ist die hier eine Ausnahme. Wie heißt noch mal der japanische Ausdruck für Leute, die sich nicht anpassen? Der Nagel, der heraussteht, muß eingeklopft werden?«
    Ich ging zu der Kommode, um sie mir genauer anzusehen. »Ach so, du meinst einen Nagel in den Metallarbeiten. Das ist ganz normal.«
    »Normal vielleicht, aber nicht schön«, sagte Hugh und tippte dagegen. »Er paßt nicht mal zu den anderen.«
    »Was?« Ich sah mir den Nagel genauer an. Er war neu und aus Stahl, nicht aus altem, schwarzem Eisen wie die anderen. Wie konnte ich das nur übersehen haben?
    »Ich habe einen schrecklichen Fehler gemacht.« Mir wurde abwechselnd heiß und kalt.
    »Sei nicht albern.« Hugh legte den Arm um meine Schultern.
    »Der Nagel hätte mir auffallen müssen. Verdammt, ich könnte schwören, daß ich mir die Kommode ganz genau angesehen habe. Ich werde das Ding rausholen müssen. Könntest du mir meinen kuginuku bringen?«
    »Was?« Hugh sah mich verständnislos an.
    »Das Ding, mit dem ich immer Nägel heraushole. Nachdem ich’s das letzte Mal verwendet habe, hab ich’s in die Schublade mit meiner Unterwäsche gelegt.«
    »Die meisten Frauen bewahren zarte Spitzensachen in ihrer Schublade mit der Unterwäsche auf. Du legst lieber Werkzeug rein. Was soll ich davon bloß halten?« Hugh kam mit dem kurzen, röhrenförmigen Gerät wieder, das so wichtig für die Entfernung von alten Nägeln war.
    »Jetzt wollen wir der Sache mal auf den Grund gehen«, sagte ich und holte den Nagel ganz langsam heraus. Dann zog ich auch die älteren Nägel heraus, die die Metallbeschläge festhielten, um mir einen besseren Eindruck verschaffen zu können. Etwa fünfzehn Minuten später hatte ich die Beschläge abgenommen. Ich starrte auf das, was darunter lag: ein geschwärzter Ring, der zeigte, wo sich das gerade von mir entfernte Metallteil befunden hatte. Innerhalb des Rings war das Holz einen Ton heller. Darin wiederum waren ein kleinerer, dunkler Ring und ein helleres Oval. Ich rieb mir stöhnend die Augen und bat Hugh, mir zu sagen, was er sah.
    »Ich sehe einen dunklen Bereich – wahrscheinlich sind das die Umrisse der Metallbeschläge. Ist das schlimm, wenn die Farbe vom Metall aufs Holz abgeht?« Er klang besorgt.
    »Nein, nein. Das Holz wird wegen der Reaktion des Eisens auf die warme Luft dunkler – das ist, wie wenn ganz in der Nähe ein Kohlenfeuer brennt.«
    Hugh nahm die Metallbeschläge in die Hand. »Na schön, ich sehe ein großes, schwarzes Oval. Aber was bedeutet der zweite dunkle Ring in der Mitte?«
    »Das sind die Umrisse eines anderen, kleineren Beschlages, der sich ursprünglich an der Kommode befunden hat. Du kannst dir vorstellen, was das bedeutet.«
    »Rei, ich hasse diese Antiquitätenrätsel! Nun sag schon, was los ist.«
    »Die Kommode ist nicht aus der Edo-Zeit«, sagte ich mit Verbitterung in der Stimme. »Nur die Metallarbeiten stammen aus dieser Epoche. Die tansu-Kommode ist neueren Datums. Man hat die Metallteile ausgewechselt, damit man sie teurer verkaufen kann.«
    »Ach«, sagte Hugh, der nun auch begriff, was los war.
    Es gab nichts mehr zu sagen, denn so viel stand fest: Ich hatte einen schrecklichen Fehler gemacht. Ob das an dem dunklen Lagerraum oder an meiner hastigen Überprüfung der Kommode lag, konnte ich nicht sagen. Wie auch immer – Mrs. Mihoris tansu war, egal, wie hübsch, eindeutig eine Fälschung.

3
    Zuerst trank ich eine Flasche Wein. Dann heulte ich. Während ich Hughs Bettbezüge aus ägyptischer Baumwolle mit meinen Tränen tränkte, versuchte er mich zu trösten. Als das nichts half, besann er sich auf seine juristischen Fähigkeiten und griff zum Telefon. Als erstes rief er bei Hita Fine Arts an, doch dort war schon geschlossen. Dann wählte er die Nummer seines Büros und sagte einen Termin am folgenden Tag ab. Schließlich hörte ich ihn mit Yasushi Ishida, dem Antiquitätenhändler, sprechen, der mir in den drei Jahren, die ich nun schon in Japan lebte, immer wieder mit Rat und Tat beigestanden war. Ich hatte keine Ahnung, was Mr. Ishida zu Hugh sagte, das Gespräch wirkte aber so beruhigend, daß ich
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