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Zuendels Abgang

Zuendels Abgang

Titel: Zuendels Abgang
Autoren: Markus Werner
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Zeit noch nicht reif für Ahndung und Gegenschlag, sondern darum, weil die Energiequelle für ein solches Unterfangen nicht der Haß sein darf und nicht der private Schmerz. Beide sind chancenlos im Kampf gegen Tücke und Macht. Etwas Lebensfreundlicheres muß in mir wachsen und gleichzeitig mich speisen, etwas Strahlendes. Nur wer aus innerer Fülle heraus streitet, aus Glück, aus Liebe, nur der wird zuverlässig siegen! - Vorausgesetzt, sagte ich, vorausgesetzt, daß der überhaupt noch Lust zum Streiten hat. - Da hast du wieder recht, du Gauner, dabei hätte ich fast geweint vor Rührung über meine Einsicht, an der ich übrigens trotz allem, trotz allem festhalte.

    Zündel blieb bis vier Uhr morgens. Er redete viel und fahrig. Fragen zu Magda wich er aus. Über seine Ferienpläne äußerte er sich unbestimmt. Lange sprach er über seinen Beruf, aber als ich ihn fragte, warum er nicht aufhöre, Lehrer zu sein, wenn diese Tätigkeit ihn doch hohl und bucklig mache, sagte er nur, Red und Antwort stehen zu müssen, sei das Gegenteil von Seligkeit.

    Vor der Haustür warteten wir auf das bestellte Taxi. Tief atmete Konrad die Julimorgenluft ein. Mir ist übel, sagte er, aber leben tu ich nicht ungern.

    6

    Zündel saß beim Frühstück und merkte, daß ihm Magda kaum fehlte. Endlich habe ich meine Ruhe, sagte er zur Katze. Endlich kann ich den Kaffee wieder schlürfen, wie ich will. Jahrelang habe ich auf das Rülpsen verzichtet. Jahrelang habe ich mich beim Frühstück auf Plaudereien eingelassen, obwohl ich von Natur und also von jeher unter morgendlichem Sprachekel leide. - Treu war ich auch, obwohl..., ja, obwohl! Eine Ehe platzt, wenn die Obwohls nicht gelebt werden, und wenn sie gelebt werden, platzt sie auch. Was können wir daraus folgern, liebes Büsi? Weißt du überhaupt, daß dich Magda gegen meinen Willen hat kastrieren lassen? Und jetzt verreist sie einfach, läßt uns hocken und fühlt sich weißgott wie mutig dabei. Die spinnt doch. Die sollte man! Aber wie gesagt: Uns kann es recht sein. Wir drängen uns niemandem auf, und es wäre ein schwerer Fehler, Magdas Vorhandensein als notwendige Bedingung unseres Lebensglücks zu empfinden.

    Zündel nahm eine Kopfwehtablette. Es war elf Uhr. Er öffnete das Fenster. Die Sonne schien. Ich will mich anziehen, dachte er, aber ich habe keine Lust dazu. Einer will, einer hat keine Lust, und einer wird sich so oder so entscheiden müssen. Der Einfachheit halber gibt man allen dreien den Namen Konrad. Das Schweinsnetz hält die Wurstmasse zusammen. Der Name tut so, als wolle er uns vor dem Zerfließen bewahren, aber die gestiftete Kompaktheit bleibt quallig. Auch das sogenannte Ich ist ja lediglich eine treuherzige Behauptung der Sprache, eine Behauptung allerdings, die sich immer unverfrorener als Gebot aufspielt. Unsere Irrenanstalten sind nur darum nötig, weil nicht jedermann diesen Identitätsfimmel mitmacht, weil als gestört gilt, wer dem planetarischen Ich-Schwindel nicht auf den Leim kriecht. Und ich kriech jetzt unter die Decke.

    Als Konrad am frühen Abend zum zweiten Mal frühstückte, fühlte er sich welk. Sein Schlaf war friedlos gewesen und schweißreich; beim Aufstehen hatten die Muskeln ihren Dienst nur störrisch erfüllt. Die Kaffeetasse zitterte in seiner Hand, und immer wieder verlor die Honigbüchse an Kontur. Er dachte, daß er abscheulich geträumt haben müsse, und erinnerte sich an eine Fistelstimme, die ihn mit dem immer gleichen Satz drangsaliert hatte. Aber der Satz war ihm bis auf das Wort ›Schlankheitsabgrund‹ entfallen.

    Er beschloß, sich eine Frist bis Mitternacht zu gewähren: Bis dann würde er entschieden haben müssen, wie es weitergehen sollte. Vor ihm lagen fürs erste dreieinhalb Wochen Ferien, hinter ihm lag ein Leben, das er zu keiner Stunde restlos überzeugend gefunden hatte. Seine Ehe war - wie fast jede Ehe - wohl aus Liebe geschlossen worden, aber diese Liebe erwies sich - wie fast jede Liebe (in seinen Augen) - als ein Gemisch aus Einsamkeitsangst, Geschlechtstrieb und Ewigkeitsbedürfnis. Seinen Beruf glaubte er nicht aus pädagogischer Passion ergriffen zu haben, sondern aus Mangel an Alternativen, bestenfalls darum, weil er selbst in seiner Jugend unsäglich unter der Schule gelitten hatte.

    Was nun? fragte er, nachdem sein Honigbrot verzehrt war. Erstens möchte ich endlich endlich soweit sein, mich als eminent nebensächlich zu betrachten, als schäbiges Erbslein im Weltall, das ich ja in Wahrheit auch
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