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Zuendels Abgang

Zuendels Abgang

Titel: Zuendels Abgang
Autoren: Markus Werner
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leben.

    Munter verließ Konrad die Praxis. Und da er sich relativ vollwertig fühlte, beschloß er, noch schnell einzukehren. Wie erwartet, traf er lauter Bekannte am Stammtisch, deren spontanes Halli-Hallo ihn rührte. Zwei Frauen umarmten ihn so vehement, daß ihm fast schwindelte, obwohl er wußte, wieviel Wert man hier auf Körperkontakt legte. - Von Literatur war gerade die Rede, und Zündel befahl: Nur weiter!
    Er hörte: Neue Innerlichkeit gleich narzißtischer Luxus im Quadrat. - Genau! Und diese penetrante Vereinzelungsattitüde zwingt allmählich zum Gähnen. - Wirklich, Hut ab vor der alten Garde, da ist noch Engagement, davon könnten unsere egozentrischen Nachwuchswürstchen lernen! - Glaubt mir, in zwei drei Jahren ist Verdrossenheit nicht mehr gefragt, und diese Nabelschauer werden reihenweise den Schwanz einziehen!

    Zündel benutzte das Gelächter zum Verschwinden und war unverhältnismäßig froh, daß niemand ihn nach seiner Meinung gefragt hatte. - Meine verspannte Nackenmuskulatur ist zwar mein Problem, dachte er, aber hat sie nicht Notwehrcharakter, signalisiert sie nicht auch objektive Bedrohung? Was für eine Stammtischrunde! Ich empfinde immer mehr Menschen als naturwidrig und gespreizt, gleichzeitig wächst mein Argwohn gegen die Ungehemmten. Auch treffe ich immer mehr Menschen mit Prinzipien, schrille Kreaturen. Aber ebenso zuwider sind mir die undogmatischen Lumpen. - So, jetzt muß ich heim, und davor hab ich Angst.

    Zu Hause erinnerte er sich an den Ausspruch eines entfernt befreundeten Kunstmalers: Unsere Ehe ist ideal, meine Frau und ich verkehren nur schriftlich miteinander. - Magda war weg. Nur lag diesmal kein Zettel auf dem Küchentisch, sondern zwei ordentliche Blätter. Erstes Blatt:
    L. K. Ich fahre für ein paar Tage zu Heien nach Bern. Abstand ist jetzt wichtiger als zermürbende Monsterdebatten. - Falls Du selbst für längere Zeit fortgehen solltest, so laß es mich bitte wissen. - Ich habe mich eben noch hingesetzt und aufgeschrieben, was Du mir alles vorwirfst. Es ist ein Nachtrag zum Streit von heute morgen. Es sind die von Dir verlangten »konkreten Beispiele«. -Tschau, paß auf Dich auf! Magda. Zweites Blatt: Du wirfst mir vor, daß ich den Heißwasserhahn zu stark zudrehe, daß ich den Nescafe direkt aus der Büchse in meine Tasse schütte, statt einen Löffel zu nehmen, daß ich an der Zahnpastatube immer ganz vorne drücke und das hintere Ende nie einrolle, daß ich die Uhr mit zuwenig Fingerspitzengefühl aufziehe, daß ich zuviele Modeausdrücke verwende, daß ich die Weinflasche beim Einschenken nicht dort halte, wo sich die Etikette befindet, daß ich die Schallplatten nach dem Hören regelmäßig falsch einreihe, daß ich im Badezimmer stets das Licht brennen lasse, daß ich immer nur Jeans trage und fast nie einen hübschen Rock, daß ich mich am Telefon mit zu schroffer Stimme melde, daß ich unter Leuten anders bin als mit dir allein, daß ich meine Haare mit Henna töne, daß ich Bücher oft nicht zu Ende lese, daß ich statt eines anständigen Portemonnaies eine vergammelte Blechbüchse mit mir herumtrage, daß ich gewisse Wörter auf der falschen Silbe betone, daß die Art, wie ich das M schreibe, nicht zu meiner sonstigen Handschrift passe, daß ich barfuß auf dem Küchenboden umherlaufe und nachher über Halsweh klage, daß ich die Butter an der Oberseite abschabe, statt breitseits ein Stück davon abzuschneiden, daß... - Reglos saß Zündel am Tisch. Nach einigen Sekunden rief er so gellend, daß die Katze aufsprang und sich schüttelte: Verwünschtes Volk der Weiber!

    Abermals nahm er ein Bad. Bad und Bett, dachte er, alles andere ist winterlich. Dreckgletscher Welt. Aber man bibbert stumpf. Besser ein frigider Eiszapfen als ein wärmebedürftiger Tölpel. Unter Null! heißt die Devise. Hohn dem Mutterbauch, Hohn dem, der fiebert nach ihm. Es lebe die Tiefkühltruhe! Es lebe der Stahlschrank! Irgendwann muß man aber erwachsen werden, Herr Zündel, nicht wahr, ein bißchen reif, ein wenig hart, jedermann weiß doch heute Bescheid über die Infantilität von Vollbadsehnsüchten, nicht wahr, wir wollen doch die Realität nicht verdrängen, Herr Zündel, im wirklichen Leben wird kalt geduscht: das stählt, immunisiert, macht männlich. Alle Wehleidigen, Herr Zündel, alle Weinerlichen und Weichen, die Humanisten, die Pazifisten, die Utopisten, die Idealisten, kurz: diese kleine, aber gefühlsduselige Minderheit hat sich nie emanzipiert von Bad und
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