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Zuendels Abgang

Zuendels Abgang

Titel: Zuendels Abgang
Autoren: Markus Werner
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schnatterten, die Männer blickten gekränkt. Es waren fast nur ausländische Touristen, Deutsche und Schweizer. Zündel wartete. Mehrmals rief der Herr, der an der Reihe war, dem Beamten seine Personalien zu: Hummelbauer Detlev aus Tauberbischofsheim. - Der Beamte hatte Mühe, diese Angaben zu protokollieren. - Umalbao? fragte er unsicher zurück. - Nein, Hummelbauer, herrgottsakrament! schrie der Deutsche. Analphabeten und Diebe! - Der Italiener verstand gar nichts, aber Zündel zitterte. Gerade wollte er Herrn Hummelbauer um Anstand bitten (wollte er wirklich?), da sagte einer der Schweizer zu seiner Frau: Emmi, hast du das gehört! Gut gegeben! Der Mann läßt sich nicht auf die Kappe scheißen!

    Rasch verließ Zündel den Polizeiposten. Er fand, wenn er nicht den Schneid habe, diese fetten, bösen Menschen zurechtzuweisen, wolle er darauf verzichten, den Diebstahl seiner zweitausend Franken anzuzeigen.

    2

    Beleuchter stehen im Schatten. Chronisten bleiben blaß. Die farbenfrohe Krawatte des Protokollführers mag Anklang finden, ins Protokoll gehört sie nicht. Wenn ich - oder eine Spur genauer: wenn ich, Viktor Busch, jetzt vortrete, mich einschalte, so nur, um jenen Menschen, die mit moderner Skepsis fragen, wer denn hier so mancherlei über Zündel wisse, zu erklären: Ich kenne Aufzeichnungen Zündels, ich kenne mündliche Berichte Zündels, und ich kenne (kannte) Konrad Zündel selbst recht gut - bei allen Einschränkungen, die üblich und vielleicht fällig sind, wenn von ›kennen‹ die Rede ist. Ich hatte ihn gern. Dabei verehre (verehrte) ich ihn so wenig wie er sich. Im Gegenteil. Zu oft war und ist meine  Haltung Konrads Leben gegenüber die gleiche wie seine eigene, nämlich eine fatal kommentierende.

    So bekannt mir also die Quellen sind, so wenig Lust verspüre ich, jeder Aussage von und über Zündel eine Fußnote aufzupfropfen: Dieses fand sich in seinen Notizen, jenes erzählte er mir, dieses weiß ich von Drittpersonen, jenes ahne ich nur. Verpflichtet zu solcher Pedanterie, verlöre ich den Mut, mich meinem Freund zu nähern.

    Ein Wort noch zu Zündels ›Notizen‹. Daß er schrieb, wußte ich, und daß er sich dafür schämte, war spürbar. Einmal traute ich mich, ihn zu fragen, was er denn schreibe. Konrad sagte (und jetzt zum Beispiel referiere ich nur sinngemäß, nicht wörtlich): Nichts, nichts, nur ein bißchen privat, nur sozusagen therapeutisch. - Und nach einer Pause sagte er unvermittelt: Weißt du, all diese verstohlenen Schreiber mit ihren schubladisierten A4-Blättern, diese Lehrer vor allem (aber auch undsoweiter), diese Nebenherliteraten, die den Durchschnitt um genau jenen Millimeter überragen, der nötig ist, um die eigne Mittelmäßigkeit wahrzunehmen und an ihr leiden zu können ... widerwärtig, jämmerlich!

    Zehn Wochen nach Konrads Rückzug - was für ein behelfsmäßiger Ausdruck! - bekam ich ein unförmiges Paket aus Kanada. Es enthielt ein Stück Gips. Auf dem beigelegten kleinformatigen Halbkarton stand
    - flattrig hingeworfen, undatiert - der eigentümliche Satz: Für Herrn Pfarrer Busch in meines scheinbar untapferen und verlorenen Kindes Konrad Auftrage (gemäß Rückseite) das Beiliegende. - Hans Fischer, Vancouver. - P. S. Dokumente folgen.

    Rückseite (Konrads Handschrift, ebenfalls flattrig): Vater! Hast mich nie gesehn. Hast Johanna ein Kind gemacht damals in Genua. Bist nordwärts verschwunden.
    Weißt nicht, daß es graue Augen hat, weißt nichts. Nimm den Gips, nimm die paar Blätter, sind eine dürftige Fahne zum Sohn. Später schick alles dem Pfarrer Busch im scheußlichen Zürich, wohnt Birkenstraße 12 und war mir so gewogen. Muß nun fort, streicht mich aus Listen und Karteien. In großer Eile Konrad.

    3

    Es war also Montagmorgen, Zündel hatte noch seinen Paß und in der Gesäßtasche sein Portemonnaie mit Fahrkarte und etwas Geld, und er entschloß sich, heimzufahren und am Dienstag den Zahnarzt aufzusuchen, und stand in einer Telefonkabine und sagte zu seiner Magda: Wie war das bioenergetische Weekend? - Wo bist du denn? fragte Magda. - Mir ist einiges widerfahren, sagte Zündel und fand sich abstoßend. - Was ist los, warum bist du nicht auf dem Schiff? fragte Magda. - Ich bin in Mailand, aber du bist gar nicht lieb, was hast du? - Ich habe geschlafen, sagte Magda. - Wieviel Uhr ist es denn? fragte er. Sie sagte: Neun Uhr. - Entschuldigung, sagte Zündel, ich wollte dir nur sagen, daß ich heute abend heimkomme. - Heute abend? fragte
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