Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zuendels Abgang

Zuendels Abgang

Titel: Zuendels Abgang
Autoren: Markus Werner
Vom Netzwerk:
bin. Kichern können möchte ich über meinen Daseinsernst, über meine Selbstverhätschelung. Vermehrt möchte ich mich von meinem Ende her definieren: mich begreifen als belanglose Vorstufe eines verrottenden Kadavers. Zweitens aber würde ich ganz gern einen kleinen Roman schreiben, nur verriete ich mich gerade dadurch wieder als Wichtigtuer, der - wie jeder Schreibende - auch in der bizarrsten Verkleidung sich und nur sich meint. Beunruhigt über die Unvereinbarkeit seiner Wünsche, holte Zündel Papier und Bleistift. 8. 7. Schreiben? (Gar veröffentlichen?) Wenn man wenigstens die Gewißheit hätte, ein repräsentativer Krüppel zu sein! Es geht nämlich nicht einfach um die Schreibfähig- keit, sondern darum, ob man - feierlich ausgedrückt -des Schreibens würdig sei. Würdig aber ist nur der in irgendeiner Weise Außergewöhnliche (z. B. der Krüppel), doch darf diese Außergewöhnlichkeit nicht in beliebiger, willkürlicher Apartheit bestehen, sondern sie muß als normale oder zwingende oder stellvertretende Außergewöhnlichkeit identifizierbar bleiben. (Der Schreibende selbst weiß freilich nie so recht, ob er ein bloßer Spinner ist oder ein exemplarischer Mensch.) - Korrektur: Repräsentative Außergewöhnlichkeit ist natürlich etwas sehr Seltenes. Im Normalfall ist das Repräsentative das Hundsgewöhnliche. Und als exemplarischer Mensch kann jener gelten, der die durchschnittliche Nichtigkeit aufweist. Würde ein solcher Mensch seine durchschnittliche Nichtigkeit schreibend zu Markte tragen, so entstünde... ach was!
    Eins bleibt sicher: Wer nicht bereit ist, stumm und spurlos durchs Leben zu huschen, ist ein geltungssüchtiger Schmutzfink. Ende.
    P. S. Auf die raffinierteste Weise wichtig macht sich der Schweigende.
    Da fiel Zündel ein, daß er den Briefkasten noch nicht geleert hatte. Die Zeitung. Die Zeitung! Sie würde ihm über ein bis zwei weitere Stunden hinweghelfen. Er rutschte auf dem Geländer hinab ins Parterre. Auf der untersten Treppenstufe lag, auf einen Fetzen Papier gebettet, ein Zigarettenstummel. Um den Stummel herum war mit grünem Filzstift ein Kreis gezogen. Auf den Kreis hin zeigte ein Pfeil, ausgehend von einer anderen, sprechblasenartigen Umrandung, in welcher der Vermerk schwebte: »Gottseidank haben wir in diesem Hause mehr anständige Mieter als solche Schweine!« - Von Hauswart Schmockers Feststellung durfte sich - mit Ausnahme des Delinquenten - jeder Bewohner geschmeichelt fühlen. Zündel leerte den Briefkasten. In seinen Ohren verspürte er jenes Hitzegefühl, das ihm bewies, wie wenig er an seiner Täterschaft zweifelte. Ganz richtig, frühmorgens im Taxi hatte er noch geraucht, in der Wohnung die Zigarette dann vermißt und aus Angst vor einem Brand auf allen Vieren nach ihr gesucht. Ganz richtig. Sie wird mir im Hausflur irgendwie abhanden gekommen sein, aber ein trostloser Pinsel ist dieser Schmocker trotzdem.
    Rasch stahl sich Zündel treppaufwärts, doch kaum hatte er Schmockers Wohnungstüre passiert, hörte er in seinem Rücken schon des Hauswarts dröhnende Stimme: N'abend, Herr Zündel! - Wie ein Genickschuß, dachte Konrad, blieb stehen, schauderte, wandte sich um und sagte: N'abend, Herr Schmocker. - Schmocker schritt bis zum Treppenabsatz. - So, haben wir wieder mal Ferien? rief er aus zwei Metern Distanz. - Ja, sagte Zündel. Schmocker hob den Zeigefinger, kippte ihn sogleich um 180 Grad abwärts und sagte: Logisch weiß ich, wer das da unten war, Sie werden die Schweinerei ja gesehen haben! - Wer denn? fragte Zündel. - Omarini natürlich, wer sonst! Wenn's nach mir ginge, wäre dieses Haus längst gesäubert, Sie wissen, was ich meine. - Nein, log Zündel, um vor sich selbst nicht allzu verschwörerisch zu erscheinen. - Italiener schwupp schwupp! sagte Schmokker. - Es gibt auch saubere Südländer, erwiderte Zündel kleinlaut und glaubte, noch nie im Leben einen erbärmlicheren Satz ausgesprochen zu haben. Aber Schmocker ging nicht darauf ein, sondern sagte: Ist Ihr Schwager abgereist? - Mein Schwager? - Türlich, der Bruder Ihrer Frau Gemahlin war doch übers Wochenende hier. -Zündel stutzte einen Moment, schlug sich dann aber schnell die Zeitung an die Stirn und sagte: Jaso, jaja, der ist abgereist. - Besonders schlagfertig sah das zweifellos nicht aus. Schmocker machte eine merkwürdige Grimasse und schrie: Also dann, auf Wiedersehen, Herr Zündel, und trotz allem Kopf hoch! - Warum denn? fragte Zündel. Seine Stimme klang nicht halb so arglos, wie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher