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Zuendels Abgang

Zuendels Abgang

Titel: Zuendels Abgang
Autoren: Markus Werner
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er es gewünscht hätte. Und Schmocker antwortete gedämpft, als wolle er sich der fast tonlos gestammelten Frage anpas sen: Ich meine ja nur. - Dann kehrte er sich um und verschwand in seiner Wohnung.

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    Na wie geht's denn, du kleine geile Sau? fragte die Animierdame. Schockiert sagte Zündel: Danke, und Ihnen? - Sie antwortete: Kein Geld, keine Liebe, nur Dreck im Keller! - Und mit der Hand fuhr sie ihm zwischen die Beine, und in sein Ohr flüsterte sie: Ich bin die Fuzzi, und wie heißt du? - Ich bin der Traugott, sagte Zündel, zahlte, glitt vom Hocker und wankte heim. Noch nie hatten ihm derartige Abstecher Linderung gebracht. Aber der unendliche Abend war um eine Stunde kürzer geworden.

    Erstens hat Magda zwar eine Schwester, aber keinen Bruder, und zweitens war Magda übers Wochenende doch in Aarwangen gewesen, an einem bioenergetischen Seminar! So ist das. Sie schleppt, kaum bin ich weg, einen Liebhaber nach Hause, trifft dummerweise Schmocker im Treppenhaus und gibt ihren Besucher - um den bösen Schein zu meiden - als Bruder aus. Sehr mager. Sehr konventionell. Am Montagmorgen, als ich sie von Mailand aus anrief, räkelte sich wahrscheinlich noch der andere neben ihr und zwickte sie, während wir redeten, in den Hintern. Gutgut. Und wie ich nach Hause komme, wird ein Streit vom Zaun gebrochen, der einen gelungenen Rechtsgrund zum Verduften liefert. Zu Heien nach Bern. In Anführungszeichen. Heien heißt er wohl kaum. Man kennt das alles. Schick mir ein Mausloch, lieber Gott. Zündel stand am offenen Fenster. Die Nacht war hell und mild. Er trank stehend, bis er - gegen halb elf - den Mut hatte, Helens Telefonnummer zu wählen. Es meldete sich niemand.

    Hart mündet in Schund, was gestern noch wertvoll sich gab. Und über die Geltung des Gestern entscheidet immer das Heute: So zerbrechlich ist die Vergangenheit, so idiotisch gefährdet schon durch das winzigste Jetzt. Eine Untreue - und alles, was war, alles Gute jedenfalls, ist wie weggefegt. Je schöner es war, desto verdächtiger macht es der Argwohn. Fast sekundenschnell schrumpft die Liebesgeschichte zum Lügenmärchen zusammen. Und unterstünde man keiner Hausordnung, so nähme man nun noch ein Bad, denn die Zähne klappern, und Dasein ist unappetitlich.

    Er stellt das Radio an und erwischt den Schluß eines Interviews. Ein Schriftsteller sagt: Die Klassiker sind mehr und mehr meine Brüder geworden. - Dann sagt der Bruder der Klassiker: Am Ende aller Dialektik muß der Lobpreis stehen. - Sogleich trimmt Zündel sich auf Hohn und denkt: Wir schön, wie wahr, wie mutig. -Gleichzeitig merkt er, daß seine Augen naß sind. Er schüttelt den Kopf und sagt laut: Konrad, Konrad.

    Er trinkt Calvados. Er findet: Seit Jahrzehnten gibt der Verlauf der Ereignisse meinem Lebensgefühl recht. Aber diese Kongruenz macht mich weder stolz noch glücklich. Einen Revolver müßte man haben.

    Zündel trinkt, raucht, blättert in einer der herumliegenden Frauenzeitschriften, aber es will nicht Mitternacht werden. Eine Leserin schreibt: Noch habe ich mich dem ändern nicht hingegeben, aber ich habe Angst, daß es einmal so weit kommen könnte. Was soll ich tun? - Die Beraterin antwortet: Sie durchleben schmerzlich und gleichsam stellvertretend die Orientierungskrise der heutigen Frau. Versuchen Sie, Ihre ureigensten Bedürfnisse zu hinterfragen und Ihren aktuellen emotionalen Zustand aufzuarbeiten ... - Du heiliger schleimiger Strohsack, murmelt Zündel und bricht die Lektüre ab.

    Daß Magda vor dem Schlafengehen jeweils den Tisch für das Frühstück gedeckt hatte, war für Konrad schon immer ein Ärgernis gewesen. Die unbekümmerte, fast selbstherrliche Art, mit der hier über Zukunft verfügt wurde, befremdete ihn, und er fand es ausgesprochen spießig, so zu tun, als sei eine nächtliche Katastrophe ausgeschlossen. Jetzt aber holt er in der Küche Teller, Tasse, Eierbecher, Messer und Löffelchen, und am oberen Ende des Stubentisches entsteht ein kleine, erwartungsvolle Tafel.

    Er betrachtet das Büchergestell. Ihr Schlaumeier, ihr Lebenslieferanten, ihr aufgetakelten Seemannsgarnspezialisten. Da steht ihr, vereint im bornierten Glauben, man könne sich mit Worten freischaufeln. Wie lange habe ich auf euch gesetzt, wie lange ließ ich euch nisten im Hohlraum meiner Erfahrungslosigkeit. Aber damit soll Schluß sein. Radikalabsage an die Herrschaften des Geistes, die mir die Welt vorbuchstabierten. Zum Zitatenhamster habt ihr mich gemacht. Eurer
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