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Zuckerguss (German Edition)

Zuckerguss (German Edition)

Titel: Zuckerguss (German Edition)
Autoren: Anica Schriever
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durchziehen, damit ich nicht an gewisse braune Augen denke oder über der Frage »Was wäre wenn?« brüte.
    Ob ich es mir nun eingestehen will oder nicht, aber ich vermisse meine Heimatstadt. Den Alten Hafen, wo man sich so herrlich in der Sonne entspannen kann und wo David mich im Riesenrad beinahe geküsst hätte, den Marktplatz, wo ich mit Lissy Cocktails geschlürft habe, den Strand und das Wellenrauschen, als Olli und ich bei der alten Strandweide saßen. Im Nachhinein betrachtet ist Wismar wirklich nicht so furchtbar und langweilig, wie ich es in Erinnerung hatte. Es hat durchaus seine schönen Ecken, man muss sie nur erkennen. Auch wenn ich vor fünf Jahren anderer Meinung gewesen bin – Familienstreit hin oder her. Manchmal muss man eben eine Zeitlang woanders »zu Hause sein«, um sein eigentliches Zuhause wieder lieb zu gewinnen.
    Aber noch mehr als Wismar vermisse ich David. Vor allem nachts, wenn ich allein in meinem Bett liege und die Zeit in Wismar wie ein Film vor meinem inneren Auge abläuft. Unsere erste Begegnung am Strand, als ich ihn für einen Touristen gehalten habe. Mittlerweile muss ich darüber selbst lachen. Meine Güte, war ich verblendet! David, der mich gekonnt über die Tanzfläche wirbelt und wo ich kurz davor stand, ihn vor meiner gesamten Familie und halb Wismar zu küssen. Der Abend im Regen. Und schließlich unsere Übernachtung am Strand. Ich spüre immer noch Davids Lippen auf meinen, leicht rau vom Seewind, und seine kratzigen Bartstoppeln. An manchen Tagen bilde ich mir ein, dass ich sogar noch das Salz auf seinem Mund schmecke. Und auch wenn ich versuche, gegen diese Erinnerungen anzukämpfen, am Tag funktioniert es bedeutend besser, so verliere ich nachts diesen Kampf. Jede Nacht. Dann kann ich fast wieder Davids verschmitztes Lachen hören, gepaart mit diesem unwiderstehlichen Blick, bei dem ich regelmäßig den Verstand zu verlieren drohte. Mehr als einmal habe ich davon geträumt, dass David vor meiner Tür steht, die Mundwinkel leicht nach oben gezogen, herausfordernd und sinnlich. Die Augen wie Kohlebriketts, durchzogen von Leidenschaft. Ungläubig starre ich ihn dann an. Er umfasst mein Gesicht mit beiden Händen, sein Mund kommt meinem immer näher, bis er mich endlich küsst, dass mir die Luft wegbleibt. Leider ist das immer nur ein Traum, aus dem ich letztlich schweißgebadet wieder aufwache. Mit der Erkenntnis, dass jede Zelle meines Körpers sich nach seiner Berührung sehnt. Oh Gott, ich vermisse ihn so schrecklich, dass es weh tut.
    Aber obwohl ich mich so einsam und allein fühle wie noch nie in meinem Leben, für den ersten Schritt, den Lissy andauernd von mir fordert, bin ich zu feige. Ich kann doch nicht einfach wieder nach Wismar fahren, zu David, als sei nichts gewesen! Wer sagt mir denn, dass er mich überhaupt noch sehen will? Da können mir meine Freunde sonst was erzählen.
    Mehr als einen Kuss und eine Nacht am Strand hat es schließlich nie gegeben. Und so wichtig kann ich David ja auch nicht sein, sonst hätte er sich sicher bei mir gemeldet. Oder? Oder wartet er etwa auf ein Zeichen von mir?
    Schon von weitem sehe ich das große flache Paket auf meinem Bett liegen. Neugierig trete ich näher und betrachte es von allen Seiten. Es ist bestimmt fünfzig auf dreißig Zentimeter groß und mit braunem Packpapier umwickelt. Kein Absender. Seltsam.
    Gut, dann mal her mit der Schere! Hach, das fühlt sich an wie Weihnachten. Himmel, bin ich aufgeregt!
    Hastig durchtrenne ich die Paketschnur und reiße das Papier weg. Zum Vorschein kommt ein gerahmtes Bild. Ein riesiges Schwarzweißporträt.
    Mir verschlägt es für einen Moment den Atem.
    Das auf dem Foto, das bin ich!
    Die langen nassen Haare kleben an meinen Wangen, mit einer Hand versuche ich, sie wegzustreichen. Meine Augen wirken unendlich groß und blicken geradewegs in die Kamera, eine ungeheure Tiefe liegt in ihnen. Der Teint makellos schön, von einem geheimnisvollen Schimmer überzogen. Entrückt. Mysteriös. Wunderschön.
    Ungläubig starre ich auf die Fotografie, eine Hand fest auf den Mund gepresst. Mir fehlen die Worte.
    Das bin ich, aber gleichzeitig auch wieder nicht.
    Plötzlich sehe ich die Szene wieder vor mir. Wie ich aus dem Wasser stapfe und einen übereifrigen Touristen zusammenstauche. Einen Touristen, der sich später als Fotograf entpuppt und mir mein Herz raubt. Und der die SIM -Karte behalten und nur den internen Speicher seiner Kamera gelöscht hat.
    Dieses
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