Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zuckerguss (German Edition)

Zuckerguss (German Edition)

Titel: Zuckerguss (German Edition)
Autoren: Anica Schriever
Vom Netzwerk:
Schlitzohr!
    Überrascht spüre ich, wie mir eine Träne die Wange herunterläuft. Ich bin völlig überwältigt, nicht nur wegen der Gefühle, die ich für den Fotografen hege. Das Bild ist das schönste, das jemals von mir gemacht worden ist.
    Mein Herz fühlt sich auf einmal schwebend an, es klopft ganz aufgeregt gegen meine Brust. Ein vertrauter Rhythmus. David. David. David.
    Oh mein Gott!
    Ich blinzele die Tränen weg, schniefe laut vor mich hin und werfe einen letzten fassungslosen Blick auf das Foto. Ich möchte hysterisch auflachen, weil ich es nicht früher gemerkt habe.
    Das hier ist die Antwort auf alle Fragen.
    Ein Zeichen.
    Auf einmal weiß ich, was ich zu tun habe. Das hätte ich längst tun sollen.
    Ich hole meinen Koffer vom Schrank, schmeiße wahllos Sachen aus meinem Kleiderschrank hinein, plündere mein Badezimmerregal und stürme mitsamt dem Koffer in Moritz’ Zimmer – ohne vorher anzuklopfen.
    Moritz starrt mich an wie eine Fata Morgana. Hinter ihm taucht eine Blondine mit Mandelaugen und Pfirsichteint auf, die hektisch darum bemüht ist, sich das Bettlaken vor die Brust zu halten.
    »Ich muss weg«, stoße ich schwer atmend hervor. Ich keuche wie nach einem Marathonlauf. Mein Herz klopft so laut, dass ich nahezu meine eigenen Worte nicht mehr verstehe.
    »Jetzt?«, fragt Moritz erstaunt und fährt sich durch die verstrubbelten Haare.
    Ich nicke heftig.
    Moritz grinst wissend. »Also doch die männliche Mutter Teresa.« Ich lache befreit auf. »Viel Glück«, ruft er hinter mir her, ehe die Zimmertür ins Schloss knallt.
    Ich bin schon fast aus der Tür, als ich noch einmal umkehre und Moritz’ Tür ein zweites Mal aufreiße. Die Blondine stößt einen spitzen Schrei aus und wischt sich eilig die Sahne von der Wange.
    »Wenn der Brief vom Prüfungsamt kommt, ruf mich an.« Ohne Moritz’ Antwort abzuwarten, stürze ich aus der Wohnung.
    Zum Hauptbahnhof.

28
    Vielleicht war dieser überstürzte Entschluss, nach Wismar zu reisen, doch keine so gute Idee.
    Zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit stehe ich auf dem Wismarer Bahnhof und überlege, wie es nun weitergehen soll. In Hannover erschien mir mein Plan noch absolut großartig. Aber nach drei Stunden Zugfahrt bin ich mir meiner Sache alles andere als sicher. Was, wenn David mich gar nicht sehen will? Wenn er mich womöglich rausschmeißt? Ich könnte es ihm nicht mal verdenken, so unmöglich, wie ich mich bei diesem katastrophalen Abendessen bei meinen Eltern ihm gegenüber aufgeführt habe.
    Nervös knabbere ich an meiner Unterlippe. Die ganze Fahrt hierher war ich ein nervliches Wrack, aber jetzt ist es richtig schlimm. Der anfängliche Mut verpufft mit jeder Sekunde, und wenn auf Gleis 2 der Zug nach Bad Kleinen stünde, ich glaube, ich würde auf der Stelle umkehren. Aber beide Gleise sind leergefegt. Ausgestorben. Wie damals, als meine kleine Welt noch einigermaßen in Ordnung war. Bevor ein Wirbelsturm namens David hindurchgefegt ist.
    Ist das wirklich erst zwei Wochen her?
    »He, Behrens, du willst doch hoffentlich nicht kneifen?«, ruft eine vertraute Stimme über den halben Bahnsteig.
    Ich drehe mich um und sehe, wie Olli gemächlichen Schrittes auf mich zutrabt.
    Ein breites Grinsen. »Hast schließlich lang genug für diese Einsicht gebraucht!«
    Ich laufe auf ihn zu und werfe mich in seine ausgestreckten Arme. Olli drückt mich fest an seine Brust, der vertraute Duft aus Moschus und Meer hüllt mich ein wie eine Wolke. Augenblicklich beruhigt sich mein Herzschlag.
    Er streicht mir eine schweißgetränkte Haarsträhne aus der Stirn, seine Augen funkeln vergnüglich. »Manchmal bist du wirklich schwer von Begriff.«
    Ich knuffe ihn in die Seite. »Du musst dich melden! Fährst du mich zu David?«, komme ich gleich zum Punkt und halte aufgeregt die Luft an. David. Fünf Buchstaben, die meine Nerven zum Flattern bringen.
    Ollis Miene verdüstert sich. Ich spüre, wie mir das Herz in die Hose rutscht. »David hat einen Termin außerhalb, vor heute Abend ist er nicht zurück.«
    »Oh.« Es gelingt mir wie durch ein Wunder, mir die Enttäuschung nicht allzu sehr anmerken zu lassen. Oh Mann, jetzt soll ich bis heute Abend warten? Und dann? Bringe ich nach der ganzen Warterei überhaupt noch den Mut auf, um mich diesem Gespräch zu stellen? Ich bin bereits jetzt das reinste Nervenbündel. Wie soll das erst heute Abend werden? Seien wir realistisch: Ohne Ollis Auftauchen säße ich mit meinen kalten Füßen längst wieder im Zug nach
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher