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Zu viele Flueche

Zu viele Flueche

Titel: Zu viele Flueche
Autoren: A. Lee Martinez
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sie nahm trotzdem den langen Weg.
    Sie war einfach nicht besorgt genug, um heute in die Nähe der Klagenden Frau zu gehen.
    Ein Donnerschlag sagte ihr, dass Margles Ankunft unmittelbar bevorstand. Sie stürmte die Treppe hinauf; Echo und Thedeus hatte sie irgendwo unterwegs abgehängt.
    Ein Gespenst rasselte ihr mit seinen Ketten entgegen. Es heulte ganz erbarmungswürdig.
    »Nicht jetzt, Richard.«
    Ohne anzuhalten rannte sie durch ihn hindurch und erreichte die Turmspitze keinen Augenblick zu früh.
    Ein großer schwarzer Vogel flog durch das Turmfenster herein. In einer Kralle hielt er einen Stein von der Größe eines Koboldkopfes. Er starrte Nessy mit glühend roten Augen an und schrumpfte zu Margles Gestalt zusammen. Groß und dünn war er, selbst für einen Zauberer recht knochig. Sein wogendes Gewand ließ ihn nur noch zerbrechlicher wirken. Nessys Erfahrung nach waren die mystischen Kräfte eines Zauberers umgekehrt proportional zu seiner physischen Erscheinung. Margle war tatsächlich ein mächtiger Zauberer und zugleich ein schmächtiger Mann. Es konnte durchaus sein, dass Sir Thedeus mit seinen kleinen Zähnen gerade so in der Lage war, dem dürren Zauberer den Kopf abzubeißen, wenn dem Flughund danach war.
    Margles finsterer Blick verstärkte sich: »Wo ist mein Wein, Hund?«
    Nessy senkte den Kopf, schlug die Hände vor die Schnauze und klemmte ihren Schwanz zwischen die Beine. »Es tut mir leid, Herr.«
    Er rang die Hände. Seine sehnigen Unterarme spannten sich. »Und ich meine, ich hätte dir gesagt, dass du den Boden bohnern sollst.«
    »Ich habe ihn ja auch gebohnert, Herr.«
    Er schnaubte höhnisch. »Widersprich mir nicht, Hund.«
    »Nein, Herr. Aber die Steine sind glatt, und ich dachte, sie könnten sonst zu rutschig werden.«
    »Ach, da haben wir es doch wieder. Denken gehört nicht zu deinen Aufgaben.«
    »Nein, Herr.« Sie leckte sich die Lippen. »Ja, Herr. Tut mir leid, Herr.«
    »Ich sollte dich auf ewig bei lebendigem Leib kochen.«
    »Ja, Herr.«
    Margle knirschte mit seinen scharfen Zähnen. »Du hast Glück, Hund, dass ich grad gute Laune hab.«
    Nessy schielte auf den Kern in seiner Hand. Die Form, die Farbe und die Zeichnung zeigten, dass es ein Nurgax-Kern war. Sie hatte in Margles Büchern darüber gelesen, erwähnte dies ihrem Meister gegenüber aber nicht. Nurgaxe waren seltene Tiere, die von Zauberern eher wegen ihrer Seltenheit als wegen ihrer Macht geschätzt wurden. Nessy erinnerte sich an die Passage im Buch. Wenn der Kern gebrochen wurde, sprang das Nurgax voll ausgewachsen heraus und verschlang das erste lebende Wesen, das es sah. Dann wurde es durch das zweite lebende Wesen geprägt, das es sah, was ein Band schuf, das nur durch den Tod wieder zerschnitten werden konnte.
    »Soll ich das für dich aufräumen, Herr?«
    Sein höhnischer Blick wurde noch ernster. »Du wirst das hier niemals anfassen, Hund. Falls doch, häute ich dich.«
    »Ja, Herr.«
    »Schicht um Schicht um Schicht.«
    »Ja, Herr.«
    »Dann fertige ich mir einen Hut aus deinem gegerbten Fell an und passende Buchstützen aus deinen Knochen.«
    »Ja, Herr.«
    Margle war jetzt in einer bedrohlichen Gemütsverfassung und machte auch noch eine Weile so weiter. Nessy nickte und verhielt sich angemessen ängstlich. Diese Drohungen hatten nicht viel zu bedeuten. Wenn Margle sie am Ende tatsächlich tötete, würde das vermutlich ohne Warnung geschehen.
    »… und ich werde deine Augen in meiner Suppe auftischen«, schloss er.
    »Ja, Herr. Soll ich dir deinen Wein holen?«
    »Warte, Hund. Ich hab dir nicht erlaubt zu gehen.«
    Nessys Fell sträubte sich.
    Sir Thedeus kam in den Turm geflogen und setzte sich wieder auf ihre Schulter. »Also, wenn es jemals eine Kehle gab, die es nötig hatte, zerfetzt zu werden …«, flüsterte er. »Soll ich es machen oder willst du, Mädel?«
    Margle hielt den Nurgax-Kern hoch. Die Haut seines Gesichtes spannte sich. Eine graue Locke fiel ihm über die Augen. »Sag es mir, Hund. Sag mir, dass du lebst, um mir zu dienen.«
    »Natürlich, Herr.«
    »Würdest du auch für mich sterben?«
    »Puh, was für ein Volltrottel«, sagte Sir Thedeus.
    Nessy verneigte sich. Der Tag, auf den sie gewartet hatte, war endlich gekommen. Sie war sogar irgendwie erleichtert. Es wäre gut, dies hinter sich zu bringen, und von einem Nurgax gefressen zu werden, galt als ein schneller Tod.
    Margle wiederholte die Frage. »Würdest du für mich sterben?«
    »Ja, Herr.« Aber nur, weil sie keine Wahl
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