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Zu Schnell

Zu Schnell

Titel: Zu Schnell
Autoren: John Boyne
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Eindruck zu machen. »Ich habe einen Platten«, erklärte ich und richtete mich auf. »Eine Glasscherbe – ich habe sie gerade gefunden.« Die Frauen wandten sich immer noch nicht ab. »Mir bleibt nichts anderes übrig, als mein Rad nach Hause zu schieben«, sagte ich noch, packte den Lenker und marschierte los.
    Die beiden schwiegen, aber ich wusste genau, dass sie mir nachschauten. Bis zur Straßenecke brauchte ich etwa zwei Minuten, und ich spürte die ganze Zeit ihre Blicke im Rücken. Normalerweise wäre ich so schnell wie möglich davongerast, aber unter den gegebenen Umständen ging das leider nicht.
    Endlich bog ich um die Ecke und war außer Sichtweite, aber ich brauchte immer noch fast zwanzig Minuten nach Hause. Und da war sie wieder. Das Mädchen mit den roten Haaren. Am anderen Ende der Straße saß sie, mit dem Rücken an einen Baum gelehnt, und ich wusste sofort, dass sie auf mich wartete. Aber warum? Das konnte ich mir nicht erklären. Ich hatte dieses Mädchen in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen. Aber aus irgendeinem Grund war mir sonnenklar, dass sie mit mir reden wollte.
    Ich verlangsamte mein Tempo, als ich mich ihr näherte. Sie blickte hoch und musterte mich aufmerksam, dann stand sie auf. Mit den Händen klopfte sie ihre Jeans ab. Ich drehte mich weg, weil ich wissen wollte, ob sie mich immer noch beobachtete, wenn ich wieder hinschaute. Tatsächlich. Unter normalen Umständen rede ich nicht gern mit Mädchen, weil sie mich immer anglotzen, als käme ich vom Mond. Aber jetzt hatte ich keine andere Wahl, als stehen zu bleiben und mit diesem Mädchen zu reden. Das musste einfach sein.
    »Hi«, sagte ich, als ich schon fast vor ihr stand, mein Fahrrad zwischen uns.
    »Bist du Danny?«, fragte sie.
    »Ja. Warum?«
    »Hab ich mir’s doch gedacht«, sagte sie. »Ich habe dich vorhin schon gesehen.«
    »Ich dich auch. Du hast vor unserem Haus gewartet und mich beobachtet«, sagte ich.
    Sie machte ein Gesicht, als wollte sie mir widersprechen, aber dann zuckte sie die Achseln. »Ja, stimmt.«
    Und auf einmal machte es klick, und ich wusste, wer sie war.
    »Du bist Sarah, stimmt’s?«, fragte ich sie. »Andys Schwester.«
    Sie nickte. So war das also: Ich hatte heute Nachmittag ihre Familie ausspioniert, und Sarah hatte fast die ganze Zeit unser Haus belagert. Und erst jetzt redeten wir miteinander, nachdem der Tag schon so gut wie vorbei war. Wir waren wie zwei Geheimagenten, die von dem ganzen Theater die Schnauze voll hatten und beschlossen, aus der Deckung zu kommen.

Kapitel 6
    Es war der Samstag, nachdem Sarah das erste Mal vor unserem Haus gelauert hatte. Wir hatten ausgemacht, uns an dem Tag im Park zu treffen. Ich saß auf einer Bank, nicht weit von dem großen Brunnen, und las David Copperfield . Sarah sollte gleich sehen, dass ich solche Bücher las. Nach ein paar Minuten kam sie durch das Parktor. Ich winkte ihr lächelnd zu. Es war komisch – aber ich freute mich richtig, als ich sie sah.
    »Ich war mir nicht sicher, ob du kommst«, sagte sie, als sie sich zu mir setzte. »Irgendwie habe ich gedacht, du überlegst es dir vielleicht anders.«
    »Nein, nein«, sagte ich kopfschüttelnd. »Ich hab’s doch versprochen, oder?«
    »Und ich hatte schon Angst, dass ich zu spät komme. Mam ist ins Krankenhaus gefahren, zu Andy, und sie wollte unbedingt, dass ich mitgehe. Als ich gesagt habe, ich kann nicht, war sie sauer.«
    »Bist du oft im Krankenhaus?«, fragte ich.
    »Jeden Tag. An manchen Tagen sogar zwei Mal. Hast du Geschwister?«
    »Ja, einen älteren Bruder«, antwortete ich. »Pete. Er ist achtzehn und studiert schon. In Edinburgh. Eigentlich hätte er im Sommer nach Hause kommen sollen, das hat er mir sogar versprochen, aber plötzlich hat er gesagt, er will lieber mit dem Zug kreuz und quer durch Europa fahren.«
    Sarah nickt. »Andy ist auch mein einziger Bruder«, sagte sie leise.
    Ich wollte sie fragen, wie es ihm ging, aber mir fiel keine passende Formulierung ein. Klar, es war nicht meine Schuld, dass Andy im Krankenhaus lag, und trotzdem fühlte ich mich verantwortlich dafür.
    »Wird er wieder gesund?«, fragte ich Sarah.
    »Das weiß man noch nicht. Aber wir hoffen alle, dass er bald aufwacht.«
    »Er wacht bestimmt bald auf«, murmelte ich.
    »Woher willst du das wissen?«
    »Ich weiß es eben«, antwortete ich. Meine Antwort schien ihr nicht besonders zu gefallen, ich hatte sogar das Gefühl, dass sie sich darüber ärgerte. Verlegen biss ich mir auf die
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