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Zu cool für dich

Zu cool für dich

Titel: Zu cool für dich
Autoren: Sarah Dessen
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NASA.
    Chris nahm das Hemd vom Küchentisch, hielt es vor sich in die Höhe und schüttelte es leicht. Aus dem Nebenraum drang das Zeilenendgebimmel der Schreibmaschine.
    »Wie findest du’s?«
    »Sieht okay aus«, antwortete ich. »Aber in den rechten Ärmel hast du eine Riesenfalte gebügelt.«
    Er betrachtete den Knick im Stoff und seufzte. »Bügeln ist so kompliziert.« Er legte das Hemd wieder auf den Tisch. »Warum bügeln Menschen überhaupt?«
    »Warum bügelst
du
?«, fragte ich zurück. »Seit wann hast du es überhaupt nötig, faltenfrei rumzulaufen? Es gab eine Zeit, da kamst du dir schon overstylt vor, nur weil du Hosen anhattest.«
    »Sehr witzig.« Er schnitt eine Grimasse. »Das kapierst du sowieso nicht.«
    »Oh, natürlich. Entschuldigung, Herr Klugscheißer, ich vergesse leider ständig, dass du die Intelligenzbestie von uns beiden bist.«
    Er strich das Hemd glatt ohne mich anzusehen. »Was ich meine, ist Folgendes«, sagte er gedehnt. »Man muss das Gefühl aus eigener Erfahrung kennen, muss wissen, wie es ist, wenn man für einen anderen Menschen etwas Schönes tun will. Aus Rücksicht. Aus Liebe.«
    »Wie ehrenwert.«
    »Genau das meine ich.« Wieder hielt er das Hemd prüfend vor sich. Die Falte war immer noch da, aber ich hatte bestimmt nicht vor ihn darauf aufmerksam zu machen. »Hilfsbereitschaft. Anteilnahme. Beziehungsfä higkeit . Lauter Dinge, die dir schmerzlich abgehen. Schade.«
    »Ich bin die absolute Beziehungsexpertin«, erwiderte ich empört. »Außerdem habe ich gerade einen geschlagenen Vormittag damit zugebracht, die Hochzeit unserer Mutter zu organisieren, schon vergessen? Ich finde das ziemlich hilfsbereit und anteilnehmend von mir.«
    Er faltete das Hemd ordentlich zusammen und legte es sich   – wie ein Kellner eine Serviette   – über den Arm. »Du musst überhaupt erstmal lernen, was eine ernsthafte Beziehung ist   ...«
    »Wie bitte?«
    »...   und über die Hochzeit beschwerst du dich dochandauernd. Das finde ich nicht besonders hilfsbereit und anteilnehmend.«
    Ich starrte ihn an. Man konnte einfach nicht mehr vernünftig mit ihm reden   – als hätte ihn eine obskure Sekte einer Gehirnwäsche unterzogen.
    »Hallo? Wer bist du eigentlich?«, fragte ich.
    »Ich sage doch nur, dass ich glücklich bin«, antwortete er gleichmütig, »und mir wünsche, du wärst auch glücklich. Wie ich.«
    »Ich bin glücklich«, konterte ich. Und das stimmte, auch wenn ich in dem Moment vielleicht ein bisschen verbittert klang, was allerdings nur daran lag, dass ich sauer war. »Bin ich wirklich«, sagte ich etwas gelassener.
    Er streckte die Hand aus und tätschelte mir den Arm, so als wüsste er es besser. »Bis dann«, meinte er, wandte sich ab und ging die Treppe hoch, die von der Küche zu seinem Zimmer führte. Ich sah ihm mitsamt seinem faltig gebügelten Hemd nach und merkte plötzlich, dass ich die Zähne zusammenbiss. Was mir in letzter Zeit entschieden zu oft passierte.
    Pling! machte die Schreibmaschine aus dem Nebenraum, und meine Mutter begann mit einer neuen Zeile. Es klang, als wären Melanie und Brock Dobbin schon auf halbem Weg Richtung Herzschmerz. Meine Mutter schreibt ausufernde romantische Liebesgeschichten, die an exotischen Schauplätzen spielen und von Figuren bevölkert werden, die alles und doch nichts haben. Gesegnet mit unfassbarem äußerem Reichtum sind sie im tiefen Inneren unglücklich und deshalb im Grunde arm. Und so weiter.
    Leise ging ich zum Wintergarten und sah ihr von der Tür aus zu. Beim Schreiben ist sie in einer anderen Weltund vergisst alles um sich her, auch uns, sogar als wir noch klein waren. Wenn wir quengelten und schrien, hob sie ohne sich umzudrehen bloß kurz eine Hand   – mit der anderen schrieb sie weiter, dass die Tasten klackerten   – und machte Pssst. Als müsste und würde das völlig reichen, um uns zum Schweigen zu bringen; als könnten wir dadurch sehen, in welcher Welt sie sich gerade befand: im
Plaza Hotel
zum Beispiel oder am Strand auf Capri, wo sich eine wunderschöne und elegant gekleidete Frau nach einem Mann verzehrt, den sie in je nem Moment für immer verloren glaubt.
    Als Chris und ich zur Grundschule gingen, war meine Mutter ständig pleite. Außer Zeitungsartikeln hatte sie noch nichts veröffentlicht und auch diese Aufträge gingen stetig zurück, weil die Bands, über die sie schrieb (wie die meines Vaters), sich entweder von selbst auflösten oder ihre Songs   – Siebziger-Musik, klassischer
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