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Zornesblind

Zornesblind

Titel: Zornesblind
Autoren: Sean Slater
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Und fordern Sie Verstärkung an.«
    »Delta 13 ist bereits auf dem Weg hierher, Detective.«
    »Gute Arbeit, Constable.«
    Striker wandte sich ab und betrat Mandy Gills Apartment. Das Erste, was ihm auffiel, war das leere Tablettenröhrchen, das die junge Frau noch immer umklammert hielt. Weiß mit blauem Deckel und schwarzer Aufschrift. Apothekenstandard, nichts Besonderes.
    Cross-Kontamination war immer ein Problem bei der Spurensuche, folglich streifte Striker seine Latexhandschuhe ab, steckte sie in die Gesäßtasche und zog frische an. Dann neigte er sich über die Tote.
    Er schob vorsichtig Mandys Finger auseinander – es ging relativ leicht, trotz der einsetzenden Leichenstarre – und nahm ihr das Röhrchen ab. Er las die Aufschrift.
    Lexapro.
    »Grundgütiger«, stöhnte er.
    Er blickte zu Felicia, die eben ein Sunlite aufstellte, eins dieser tragbaren Beleuchtungssysteme, wie ihre Abteilung sie häufiger einsetzte. Eigentlich war es für Filmaufnahmen gedacht, aber es war genauso ideal, um einen Tatort auszuleuchten. Seine Kollegin schaltete den Scheinwerfer ein, grelles Licht flutete das Zimmer.
    Striker bot sich ein deprimierender Anblick. Vorhin, mit der Taschenlampe, war es halb so wild gewesen. Das grelle Sunlite dagegen beschönigte nichts. Der Boden starrte vor Schmutz, genau wie die Kochnische. Das ganze Elend, in dem Mandy Gill gehaust hatte, kam buchstäblich ans Licht – Müll auf dem Boden, Schwamm und Pilz in den Wänden, eine tote Ratte lag auf der Küchentheke.
    Wie um das Gesehene zu verdrängen, schüttelte er den Kopf. Hielt Felicia die Pillenröhrchen hin: »Sie ist auf Antidepressiva«, erklärte er. Beide beugten sich über das Etikett:
    Pharmasave.
    Verschreibungsnummer: 1079880 – MVC.
    Inhalt: 50 Tabletten.
    Abfülldatum: 28. Januar.
    Striker tippte mit dem Zeigefinger auf das Datum.
    »Der Achtundzwanzigste«, sagte er.
    »Der war gestern«, bemerkte Felicia. »Dienstag.«
    Fünfzig Tabletten, die erst gestern abgefüllt worden waren, überlegte Striker, und heute war der Behälter leer. Das reichte für mehr als eine Überdosis. Er schrieb die Informationen in sein Notizbuch und legte die Pillenröhrchen direkt neben das Stuhlbein, für Noodles, seinen Kollegen von der Spurensicherung, der bereits auf dem Weg hierher war. Dann stand er auf und schaute sich weiter im Zimmer um.
    Er fühlte sich hundeelend. War es möglich, dass sein schlechtes Gewissen seine Urteilskraft aushebelte?, grübelte er betroffen. Abgesehen von der Kamera, die draußen installiert worden war, und seinem Zusammentreffen mit dem Verdächtigen – vor Gericht waren das lediglich Indizien – gab es keine physischen Hinweise, dass da irgendwas faul war. Zumindest keine, die sich an der Leiche oder in deren Umgebung feststellen ließen.
    Folglich war ein Suizid nicht auszuschließen.
    Striker wusste, dass Mandy Gill labil war, denn er kannte das Mädchen seit einigen Jahren. Er hatte sie auf einem Sportwettkampf kennen gelernt, an dem auch seine Tochter teilgenommen hatte. Mandy war zu dem Zeitpunkt sechzehn gewesen, nur ein paar Jahre älter als seine Tochter Courtney. Sie hatte in der Gegend von Dunbar gewohnt, ganz in der Nähe von ihnen. Sie war ein hübsches, freundliches junges Mädchen gewesen, hatte aber schon länger mit Depressionen zu kämpfen gehabt.
    Wen wunderte das? Mandys Mutter war vor ein paar Jahren an Krebs gestorben, ihr Vater, ein unsympathischer, unnahbarer Typ, saß unter anderem wegen wiederholter Betrugsdelikte im Gefängnis. Mandy hatte keine Geschwister und war völlig allein in dieser Welt.
    So, wie sie heute Abend gefunden worden war.
    Die Vorstellung war quälend. »Ich hätte mich mal besser mehr um sie gekümmert«, seufzte Striker und ließ die Schultern hängen.
    »Schau dir das mal an«, rief Felicia, die eben die Küchenschränke inspizierte.
    Striker durchquerte den Raum, der Müll auf dem Boden knirschte unter seinen Schuhen. Seine Kollegin hielt ihm ein Tablett hin, auf dem mindestens vierzig Tablettenröhrchen lagen.
    »Großer Gott, hat sie das Zeug gebunkert?«, entfuhr es ihm.
    »Alles Effexor«, erklärte sie.
    » Effexor? Lass mal sehen.« Er nahm eins von den Röhrchen und las die Aufschrift. Es war dieselbe Apotheke und Verschreibungsnummer wie bei dem Lexapro. Angesichts der beiden Medikamente wusste er spontan, was mit Mandy los gewesen war.
    »Sie war manisch-depressiv«, sagte er.
    Felicia hob den Kopf. »Woher willst du das wissen?«
    Er musterte sie hart.
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