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Zornesblind

Zornesblind

Titel: Zornesblind
Autoren: Sean Slater
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Richtung der Lichtquelle. Von wegen Glühbirne – das Licht stammte wohl eher von einer Taschenlampe. Was ihn nicht sonderlich überraschte. Er tastete mit einer Hand vorsichtig über die Wand und fand den Lichtschalter.
    Nichts.
    Logo, der Energieversorger hatte diesem Rattenloch den Saft abgedreht.
    Striker angelte seine Mini-Maglite aus der Manteltasche, schaltete sie ein. Eine altersschwache Treppe führte nach oben. Die Stufen ächzten gequält unter seinen Schritten, als er in den zweiten Stock hochstieg. Oben schwenkte er nach links, tastete mit dem Lichtstrahl den Flur ab. Das fahlgelbe Licht erhellte eine Silhouette, die sich in einen der Türrahmen presste. Ein Mann in einer blauen Uniform.
    Ein Kollege von der Streife.
    Striker richtete den Strahl der Taschenlampe auf ihn. Der Cop war ein junger Asiate. Höchstens zwanzig und frisch von der Polizeiakademie. Und mit der Situation definitiv überfordert. Er fuchtelte hektisch mit einem Mordstrümmer von Taschenlampe herum, der Strahl tanzte durch den Flur. Als er Striker entdeckte, atmete er hörbar aus.
    »Hey«, brachte er krächzend heraus.
    Striker trat zu ihm. »Hey? Und was weiter? Haben Sie zufällig auch einen Namen?«
    »Ähm, ja. Wong. Ich bin in Charlies Schicht. Team zwei-zehn.«
    Der Mordermittler warf einen Blick auf die Dienstmarke des Typen. Nummer 2864 – über tausend Ziffern höher als seine eigene. Dagegen kam er sich echt alt vor. Er nickte dem jungen Polizisten zu. »Ich bin Detective Striker vom Morddezernat. Wo ist sie?«
    »Da … da drin.« Der junge Typ leuchtete mit seiner Taschenlampe auf die nächste Tür. Zimmer 303.
    »Haben Sie irgendwas angefasst?«
    »Nein. Ich hab nichts angefasst. Kein Stück.«
    Striker atmete erleichtert auf; der Kleine schien echt was draufzuhaben.
    Er glitt zu Nummer 303. Es war totenstill, die zunehmende Dunkelheit legte sich in grafitweichen Schatten über den Raum. Mitten im Zimmer, in einem schäbigen Klappsessel, lag die Leiche von Mandy Gill.
    Sonst war niemand im Zimmer.
    Striker blickte stirnrunzelnd zu Constable Wong. »Wo ist Ihr Partner?«
    »Mein Partner? Ich … ich hab keinen. Ich bin allein hier.«
    »Wollen Sie damit sagen, Sie sind hierherbeordert worden und allein losgedüst?«
    Der junge Typ nickte. »Ging nicht anders. War sonst keiner abkömmlich. Hieß zwar, ich krieg noch Verstärkung. Aber bis jetzt sind Sie der Einzige.«
    »Sie haben vielleicht Nerven, Mann. Das nächste Mal warten Sie auf einen Kollegen, okay?«
    Constable Wong musterte die Tote mit schief geneigtem Kopf. »Sieht … ziemlich frisch aus.«
    Striker nickte deprimiert. Der Junge hatte Recht; das Mädchen war noch nicht lange tot.
    »An der Rezeption ist sie bloß mit Gill eingetragen«, erklärte der junge Cop. »Ich konnte das aber noch nicht weiter überprüfen. Wenn Sie wollen, spring ich kurz runter in den Wagen und hol meinen Laptop.«
    »Die Mühe können Sie sich sparen«, erwiderte Striker. »Das mit dem Namen stimmt. Sie hieß Mandy Gill und war neunzehn Jahre alt.«
    »Oh, Sie haben das schon überprüft?«, fragte der Cop.
    Striker schüttelte traurig den Kopf. »Nein, ich kannte das Mädchen.«

3
    Es war eher Zufall, dass Mandy Gill so schnell gefunden wurde. Ein Anrufer, der anonym bleiben wollte, hatte die Polizei informiert, dass ihm etwas Verdächtiges aufgefallen sei. Laut seiner Aussage versteckte sich jemand in den Büschen hinter dem baufälligen Lucky Lodge, irgendwo in der Nähe der Union Street.
    Das war an sich nichts Besonderes – verdächtige Subjekte wurden andauernd gemeldet, vor allem in Strathcona –, zudem hatte die Stadt seit einem Dreivierteljahr Probleme mit einem Brandstifter. Deswegen hatte die Gegend von der Union Street bis Perdon oberste Priorität. Folglich war umgehend ein Streifenwagen dorthin geschickt worden.
    Newcomer Wong hatte die Arschkarte gezogen. Allein auf Streife in dem betreffenden Bezirk, war er zum Lucky Lodge gefahren und buchstäblich über die Leiche gestolpert.
    Mandy Gill.
    Striker betrat das kleine Apartment, sorgfältig darauf bedacht, keine Spuren zu vernichten. Drinnen war es fast so kalt wie draußen, und das fand er frustrierend.
    Er sah sich um. Die Bude war winzig, ein separates Bad und ein Zimmer, komplett mit Kochnische und Sitzecke, an einer Wand stand ein schmales Bett mit einem schäbigen Eisengestell. Alles in allem war es die traurige Bestandsaufnahme eines kurzen Mädchenlebens.
    Schmutziges Geschirr türmte sich im Spülbecken.
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