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Zorn - Wo kein Licht

Zorn - Wo kein Licht

Titel: Zorn - Wo kein Licht
Autoren: Stephan Ludwig
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alles für mich. Und damit meine ich wirklich alles. «
    »Warum?«
    Nein, das interessierte Zorn nicht wirklich, doch solange de Koop redete, blieb er, Zorn, am Leben. Weiter konnte er im Moment nicht denken.
    »Ich will Sie in den letzten Minuten Ihres Lebens nicht mit Nebensächlichkeiten langweilen. Für ihn bin ich ein Gott, und damit hat er nicht ganz unrecht. Wenn man bedenkt, dass ich ihn buchstäblich nach meinem Willen geformt habe. Er hat keinerlei Unrechtsempfinden, genau wie ich. Aber das«, de Koops dunkle Augen funkelten vergnügt, »ist wirklich alles, was wir gemeinsam haben.«
    Er wandte sich um, richtete die Waffe nun in die Mitte des Raumes.
    »Bring ihn her!«, befahl er.
    Der Kopf des Lampenmanns erschien über der Tischplatte. Zuerst sah er Zorn, sein Gesicht hellte sich auf, dann fiel sein Blick auf den Richter. Dieser lag reglos auf dem Boden, die Wunde blutete noch immer, eine schwarze Pfütze hatte sich um seine Beine gebildet.
    »Was ist mit dem Mann?«
    »Er schläft«, sagte de Koop.
    »Ist er müde?«
    »Ja. Und jetzt bring den anderen Mann her.« De Koop zwinkerte Zorn zu. »Wir müssen uns beeilen.«
    *
    Schröders Vater schlief fest. Sein Kopf ruhte auf dem linken Unterarm, er träumte, die Augen bewegten sich hinter den geschlossenen Lidern, ab und zu zuckten seine Finger. Speichel glänzte auf seiner Unterlippe und verteilte sich auf der karierten Tischdecke.
    Im Wohnzimmer klingelte das Telefon, der Alte hörte es nicht. Auch das Zischen des ausströmenden Gases bemerkte er nicht, ebensowenig wie den fauligen Geruch, eine übelriechende, nach Verwesung stinkende Wolke hatte sich in der Küche ausgebreitet.
    Das Telefon verstummte.
    Der Kühlschrank erwachte mit einem Brummen zum Leben.
    Schröders Vater drehte den Kopf auf die andere Seite und schlief weiter.

Achtunddreißig
    Schröder verstaute das Handy in der Innentasche seines Mantels. Warum er zu Hause angerufen hatte, war ihm selbst nicht recht klar, seine Mutter war fast taub, sein Vater, so hoffte er zumindest, schlief, keiner von beiden sollte das Klingeln gehört haben. Trotzdem, er hatte das Haus seiner Eltern bereits mit einem unguten Gefühl verlassen, und im Laufe der letzten halben Stunde hatten sich seine Befürchtungen zu einer nagenden, unheilvollen Vorahnung verstärkt.
    Er lehnte am Stamm einer Platane, rechts von ihm ragte das Dach des Musikpavillons aus dem Unkraut, links erhob sich das Badehaus. Das Gelände wirkte verlassen, es schien, als habe seit Jahren niemand einen Fuß in diese Einöde gesetzt. Aus der Ferne drang das Rauschen des abendlichen Verkehrs heran.
    Schröder überlegte. Er war hier, weil er Frieda Borck einen Gefallen tun wollte, im Normalfall hätte das Einsatzkommando den Kurpark schon längst bis auf den letzten Quadratzentimeter unter die Lupe genommen. So recht wollte er ihre Geschichte nicht glauben, andererseits passte dieser Ort genau in das Muster, es konnte also nicht schaden, sich ein wenig umzuschauen. Nur kurz, dann würde er nach Hause fahren und nach seinem Vater sehen.
    Er spielte mit dem Gedanken, noch einmal bei seinen Eltern anzurufen, ließ es dann aber bleiben und lief den Hauptweg entlang, vorbei an schiefen, rostigen Gaslaternen, Stapeln mit altem Bauholz und überwucherten Blumenbeeten. Er hielt sich im Schatten der Platanen, wich einem verbeulten Fahrradrahmen aus, schließlich erreichte er die Abzweigung zum Badehaus, einen schmalen, zugewachsenen Pfad.
    Er zögerte. Blieb stehen, bemerkte die zerdrückten Bierbüchsen, die leeren Weinflaschen, dazwischen eine ausgebleichte Zigarettenschachtel. Das alles lag schon seit geraumer Zeit zwischen den Brennnesseln, doch das Gras war erst vor kurzem niedergetreten worden.
    Jemand war hier gewesen, vor nicht allzu langer Zeit.
    Schröder bog auf den Pfad ab. Nach wenigen Metern stand er vor dem Eingangsportal zur Badehalle, auch hier bemerkte er die frischen Fußspuren. Die hohe Tür war angelehnt, er sah auf, und jetzt, mit einem Schlag, hatte er Gewissheit.
    Das halbrunde Jugendstil-Oberlicht hatte der Zeit wenig entgegenzusetzen gehabt, im Laufe der Jahre hatten Frost und Sonne die Farben ausgebleicht. Ein kleinerer Halbkreis thronte auf der unteren Querstrebe, von dort verliefen geflammte Strahlen aus gedrechselter Eiche nach außen. Das Bild ergab eine stilisierte, untergehende Sonne, doch das war es nicht, was Schröder stutzen ließ. Irgendein Witzbold hatte sich mit einer Sprühflasche auf dem geriffelten Glas
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