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Zorn - Tod und Regen

Zorn - Tod und Regen

Titel: Zorn - Tod und Regen
Autoren: Stephan Ludwig
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verschluckt, bin am Ersticken, habe Durst und keine Ahnung, wer du bist, aber ansonsten geht’s mir gut, danke der Nachfrage, du … sie suchte nach dem geeigneten Schimpfwort, doch sosehr sie sich auch anstrengte, ihr fiel nichts ein, was passend erschien. Sie hatte Bukowski gelesen, Henry Miller kannte sie, gezwungenermaßen, auch, schließlich war das Unterrichtsstoff, doch am liebsten waren ihr die Klassiker. Einfache, klare Stoffe, ohne irgendeine Ferkelei, die den Kindern vermitteln, was wichtig ist. Hemingway zum Beispiel mochte sie, der war zwar einfach, bäuerlich, aber niemals vulgär. Das war etwas, was sie schon immer abgestoßen hatte, doch jetzt, unfähig zu sprechen, geschweige denn, sich zu bewegen, verspürte sie den unbändigen Drang, sich zu wehren. Und sei es nur in Gedanken.
    Was sagte man in solchen Fällen? Arschloch? Wichser?
    Sie spürte wieder, wie etwas Warmes an ihren Beinen hinunterfloss. O Gott, ich habe mich bepinkelt. Kann es noch schlimmer werden, du mieses, melancholisches Stück Scheiße?
    Das waren für ihre Verhältnisse verbale Fäkalien der untersten Schublade, doch es half. Noch immer war da keine Angst, sondern eher etwas wie …
    … Wut?
    Mit einem Schlag wurde ihr bewusst, dass er sie töten würde. Dann bring es einfach hinter dich, dachte sie. Du kannst es nicht wissen, aber ich habe längst mit dem Leben abgeschlossen. Wer weiß – vielleicht tust du mir ja einen Gefallen?
    »Sie sollten wissen, dass ich nicht krank bin.« Das schien ihm wichtig zu sein, er hatte sich vorgebeugt und sah sie ernst an. »Ich bin nicht krank, also nicht verrückt – jedenfalls nicht verrückter als jeder andere. Ich bin als Kind nicht missbraucht worden, und … und ich hatte auch niemals Spaß daran, irgendwelche Tiere zu quälen. Ich meine, ich habe meiner Katze nicht den Schwanz angezündet oder den Hund meiner Nachbarn vergiftet.«
    Du musst mich vor dem Supermarkt erwischt haben, fiel ihr plötzlich ein. Ich wollte Dünger kaufen, für die Blumen und …
    »Sie und ich, wir beide sind jetzt hier. Und Sie müssen wissen, dass Sie in meinen Augen überhaupt keine Schuld tragen an dieser Situation, Sie können wirklich nichts dafür …«, er zögerte und schien nach der geeigneten Formulierung zu suchen, blickte zur rissigen Wand, als würde dort im nächsten Moment das richtige Wort erscheinen.
    … Basilikum?
    »… für Ihren schmerzvollen vorzeitigen Tod.«
    Schmerz?, dachte sie. Wieso spüre ich dann nichts?
    »Ich denke, das sollten Sie wissen.«
    Genau, Basilikum, überlegte sie, ich wollte Salat machen und dann zeitig ins Bett gehen. Die Augenlider wurden ihr schwer, und wieder spürte sie, wie sie langsam wegdriftete. Bilder schossen durch ihren Kopf, Dinge, die sie längst vergessen zu haben glaubte.
    Sie schreckte hoch, als er krachend den Stuhl nach hinten schob, aufstand und in die Hände klatschte wie jemand, der nun endlich, wohl oder übel, zur Sache kommen muss. »Ich merke schon«, sagte er und lächelte ein wenig, »ich rede zu viel, Sie sind müde.«
    Er hat schöne Zähne, dachte sie verwirrt.
    »Sie sind nicht der erste Mensch, den ich töte, und so, wie es momentan aussieht«, mit einem Ruck löste er die Fesseln an ihrem Kopf, die mit einem leisen Klatschen zu Boden fielen, »werden Sie auch nicht der letzte sein.«
    Er stand nun direkt vor ihr, beugte sich nah an ihr Ohr und flüsterte leise, ganz leise: »Es tut mir leid. Es tut mir sehr leid. Und ich bitte Sie um Verzeihung.«
    Jetzt registrierte sie, dass er Gummistiefel trug, die fest mit einer olivgrünen, wasserdichten Anglerhose verschweißt waren. Das, mein Lieber, wollte sie sagen, sieht reichlich albern aus, doch das Einzige, was sie hervorbrachte, war ein ebenso albernes, gurgelndes Schnaufen.
    Als sie endlich nach unten blickte, wurden ihre Sinne klar, und sie verstand. Es war, als hätte sie einen Eimer Wasser ins Gesicht bekommen, urplötzlich war sie hellwach, ein ätzendes, schwefliges Licht ging an, und obwohl sie sich wehrte, wurde das Bild scharf, grobkörnig, und sie wusste jetzt, warum es so nach Eisen roch, sah, dass das, was da an ihren Beinen herunterlief, etwas anderes war, etwas, das, wie man so schön sagte, dicker war als Wasser und dicker als Urin.
    Sie schluchzte leise, als sie die immer größer werdende Pfütze bemerkte, die sich zwischen ihren Beinen gebildet hatte, und nun leuchtete ihr ein, warum er die Stiefel trug. Obwohl er jetzt zwei Meter von ihr entfernt war,
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