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Zorn - Tod und Regen

Zorn - Tod und Regen

Titel: Zorn - Tod und Regen
Autoren: Stephan Ludwig
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Kompetenz und Integrität zu vermitteln. Sauer achtete stets darauf, sein perfektes Erscheinungsbild durch scheinbar ungewollte Nebensächlichkeiten zu brechen: beispielsweise eine etwas zu lockere Krawatte, einen Dreitagebart oder einen geöffneten Hemdknopf. Heute trug er Turnschuhe zum Brioni-Anzug. Ein seriöser und gleichzeitig unkonventioneller, lässiger Siegertyp.
    Ich könnte kotzen, dachte Zorn und lächelte höflich.
    Er selbst achtete wenig auf seine Kleidung, meist griff er sich einfach das, was zuoberst im Schrank lag. Claudius Zorn war fast nur in Jeans und T-Shirt anzutreffen. Auch seine Haare hingen ihm für einen Beamten viel zu tief in die Stirn, was allerdings daran lag, dass er eine herzliche Abneigung gegen Friseure hegte. Diese Nachlässigkeit bedeutete jedoch nicht, dass er uneitel war, im Gegenteil: Jede Bemerkung in Bezug auf sein jugendliches Aussehen wurde genau registriert, auch wenn er so tat, als sei es ihm egal. Einen Anzug allerdings hätte Zorn ums Verrecken nicht angezogen. Dabei war es nicht so, dass er Anzüge hasste. Er verabscheute eher die, die sie trugen. Jedenfalls die meisten.
    »Gut, dass du da bist, Claudius«, meinte Staatsanwalt Sauer und gab ihm einen weiteren, väterlichen Klaps auf die Schulter. Absurd, dachte Zorn und machte einen unauffälligen Ausfallschritt nach links, er ist mindestens zwei Jahre jünger als ich.
    Sauer bedachte ihn mit einem Blick, der verschwörerisch und gleichzeitig jovial wirken sollte. Wir beide, du und ich, sollte das heißen, sind die einzig fähigen Leute im Raum, und tatsächlich fügte der Staatsanwalt mit einem Blick auf seine Sekretärin hinzu: »Ich bin hier nur von Idioten umgeben.«
    »Kaffee oder Espresso?«, zwitscherte sie.
    »Grünen Tee!«, befahl Sauer. »Und in den nächsten zehn Minuten keine Anrufe!«
    Mein lieber Staatsanwalt, du siehst zu viele amerikanische Fernsehserien, dachte Zorn, gab Schröder ein Zeichen, und beide folgten Sauer in dessen Büro.
    *
    »Ich will, dass du rausfindest, was da passiert ist, Claudius. Ich will, dass du es schnell tust. Und ich will spätestens morgen erste Ergebnisse sehen.«
    Der Staatsanwalt saß hinter einem beeindruckenden Schreibtisch aus massiver Eiche, mit einer Handbewegung hatte er Zorn bedeutet, auf einem der Besucherstühle Platz zu nehmen. Schröder hatte er keines Blickes gewürdigt, der hielt sich im Hintergrund an der Wand, über ihm ein mindestens vier Quadratmeter großes, abstraktes Gemälde, das mit seinen kreischenden Gelb- und Brauntönen an eine schlechte Jackson-Pollock-Kopie erinnerte.
    »Ich habe dich beobachtet«, fuhr Sauer fort, »in letzter Zeit erscheinst du mir ein wenig …«, er machte eine winzige, perfekt getimte Pause, »… untermotiviert. Und ich muss dich nicht daran erinnern, wie wichtig dieser Fall für deine Karriere werden kann.«
    Meine?, dachte Zorn. Du meinst
deine
.
    Er hatte bisher kein Wort gesagt und saß mit verschränkten Armen und unbewegter Miene vor seinem Vorgesetzten. Eine Taktik, mit der er bisher noch jeden aus der Ruhe gebracht hatte, und auch diesmal funktionierte es tadellos. Es war allgemein bekannt, dass es sich bei Staatsanwalt Sauer um einen ausgesprochenen Choleriker handelte.
    Sauer wartete ein paar Sekunden, und als Zorn auch nicht die geringsten Anstalten machte, in irgendeiner Weise zu reagieren, riss der ohnehin extrem dünne Geduldsfaden Sauers, dessen gepflegte Züge sich zunehmend verhärtet hatten. Er schlug mit der flachen Hand auf den Tisch, beugte sich vor, und als er fortfuhr, war ein schriller Unterton in den Ausführungen des Staatsanwaltes zu vernehmen: »Verdammt nochmal, das Einzige, was ich erwarte, ist ein wenig Professionalität!«
    Eine zarte Röte erblühte auf Sauers Wangenknochen. Fasziniert beobachtete Zorn, wie auch Stirn und Hals des Staatsanwaltes in leuchtendem Purpur zu glühen begannen. »Professionalität bedeutet eines: schnelle und unkomplizierte Umsetzung meiner Anweisungen!«
    Sauer bekam allmählich Probleme mit den Zischlauten. Ein feiner Sprühregen pfefferminzgetränkten Staatsanwaltsspeichels wehte dem eh schon gereizten Zorn entgegen. »Professionalität, Schnelligkeit und Mitdenken! Ist das denn so schwer? Und überhaupt«, Sauers Stimme überschlug sich, »wieso schreibt hier eigentlich niemand mit?«
    »Er hat ein gutes Gedächtnis«, erwiderte Zorn und wies mit dem Daumen über die Schulter, wo er irgendwo den dicken Schröder vermutete.
    »Ihr Tee, Herr
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