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Zorn - Tod und Regen

Zorn - Tod und Regen

Titel: Zorn - Tod und Regen
Autoren: Stephan Ludwig
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der zum verglasten Neubau führte, einem unsagbar hässlichen Betonding mit braunen, verspiegelten Scheiben, das in den siebziger Jahren von einem offensichtlich durchgeknallten Architekten im rechten Winkel an das alte Polizeigebäude regelrecht angepappt worden war. In der oberen Etage waren die Büros der Staatsanwaltschaft, und dort musste er hin.
    Er hatte die Akte überflogen, viel wusste er bisher nicht: Am Montag, den 16. April (also gestern), war mit einem anonymen Anruf eine Lärmbelästigung in der Kantstraße angezeigt worden. (Wieso eigentlich anonym?, dachte Zorn, haben die Leute jetzt schon Angst, wenn sie mit der Polizei telefonieren?) Ein Streifenwagen wurde geschickt, und tatsächlich dröhnte aus einem unbewohnten Haus laute Musik. Die Beamten folgten dem Lärm zu einem Keller, der auf den ersten Blick komplett leer zu sein schien – bis auf einen tragbaren CD -Player, der auf volle Lautstärke gestellt war und laut Bericht »eine klassische Musik« spielte.
    Dann hatten die Kollegen die ungewöhnlich große, anscheinend frische Blutlache bemerkt und die Spurensicherung gerufen. Das Labor fand schnell heraus, dass es sich um menschliches Blut handelte, das zudem von einer einzigen Person stammte, und aus der Menge geschlossen, dass hier jemand regelrecht ausgeblutet sein musste.
    *
    Sie hatten das Foyer des neuen Verwaltungstraktes erreicht, eine große, über drei Etagen reichende Halle, von der die Flure zu den einzelnen Dezernaten abgingen. Zorn wandte sich nach links, folgte einem weiteren Gang, an dessen rechter Seite die berüchtigten Großraumbüros des Inneren Dienstes lagen. Bei dem Gedanken, hier arbeiten zu müssen, ständig von anderen Menschen umgeben zu sein, schauderte ihm. Unwillkürlich beschleunigte er den Schritt.
    »Keine Leiche?«, fragte er über die Schulter, betrat den Fahrstuhl und drückte, ohne auf Schröder zu warten, den Knopf für die oberste Etage. Schröder zwängte sich im letzten Moment hinein.
    »Nichts, Chef.«
    Zorn schwieg. Leise surrend fuhr der Fahrstuhl nach oben, und da Schröder die Stille in dem engen Raum zunehmend unangenehm wurde, meinte er nach kurzem Überlegen: »Keine Spur. Nix.«
    Zorn schwieg noch immer.
    »Niente!«, sagte Schröder. Ab und zu verspürte er das unerklärliche Bedürfnis, mit seinen Fremdsprachenkenntnissen zu protzen, und fügte deshalb hinzu: »Nothing, Chef!«
    Zorn hob die Augenbraue.
    »Nada!«, ergänzte Schröder.
    »Pling!«, erwiderte der Fahrstuhl.
    »Nitschewo!«, sagte Schröder.
    Die Türen öffneten sich.
    »Ein einfaches Nein hätte genügt«, brummte Zorn und wappnete sich innerlich gegen seinen ersten Gegner.
    *
    Staatsanwalt Sauer war ein kompromissloser Mensch, der sich einen Dreck um andere scherte. Somit verfügte er über die besten Voraussetzungen, schnell und zügig Karriere zu machen.
    Sie saßen jetzt seit zehn Minuten im Vorzimmer, und es war klar, dass noch weitere fünf vergehen würden. Der Staatsanwalt ließ seine Untergebenen aus Prinzip eine Viertelstunde warten – mindestens.
    »Er müsste jeden Moment hier sein«, flötete die brünette Sekretärin routiniert, ohne von ihrer Tastatur aufzusehen, auf der sie mit atemberaubender Geschwindigkeit herumhämmerte. »Kaffee oder Espresso?«
    »Ja, ich hätte gern –«
    »Nein danke, wir brauchen nichts«, unterbrach Zorn den dicken Schröder.
    »Pff!«, machte Schröder beleidigt.
    Zorn vertrieb sich die Zeit, indem er abwechselnd den beeindruckenden Ausschnitt der Sekretärin und ein an der Wand hängendes, riesiges Organigramm der örtlichen Polizei musterte. Sein Platz in der Hierarchie war ziemlich weit unten, während Sauer, das wusste Zorn, irgendwann ganz oben stehen würde. Eine Position, die ihn ebenso wenig reizte wie Sauers Dienstwagen, das riesige Büro oder die Sekretärin – abgesehen von deren Dekolleté, wie Zorn sich widerstrebend eingestehen musste.
    Aus dem Augenwinkel registrierte er, dass ihn die Brünette verstohlen musterte. Er sah sie an, sie lächelte kurz und wandte sich dann verlegen ihrem Computer zu, um ihn nun mit doppelter Geschwindigkeit zu bearbeiten.
    Die Tür wurde aufgerissen, der Staatsanwalt erschien, wie immer sorgfältig frisiert, und als er Zorn auf die Schulter klopfte, blitzten die Zähne ein wenig zu weiß aus dem etwas zu tief gebräunten Gesicht.
    Frisch gestriegelt, geschniegelt und gebügelt, dachte Zorn und war sicher, dass die dünne Edelstahlbrille, die Sauer trug, den einzigen Zweck hatte,
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