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Zorn - Tod und Regen

Zorn - Tod und Regen

Titel: Zorn - Tod und Regen
Autoren: Stephan Ludwig
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stand er mitten in dieser dunkelroten, öligen Lache, in der sich das trübe Deckenlicht spiegelte.
    Dann war er bei ihr, sie hörte das schmatzende Geräusch seiner Schritte, und als er ihr sagte, dass er nicht mehr warten könne, lächelte er verlegen.
    Kurz darauf barsten die Wände, der Wahnsinn stand brüllend im Raum, öffnete dem Horror die Tür, und es war nicht Johnny Depp, sondern Edward mit den Scherenhänden, der über sie kam. Und er hatte nicht nur das Messer, sondern andere, ebenso spitze, chromglänzende Werkzeuge.
    Und er benutzte sie alle.
    Es dauerte drei Stunden, bis sie den Verstand verlor, und weitere zwei, bis sie endlich sterben durfte.
    *
    Dann stand er vor ihr, legte den Kopf ein wenig schief und betrachtete das, was von ihr übrig war. Alles war so, wie es sein sollte.
    Er musste noch die Musik anstellen. Doch vorher gab es noch etwas anderes zu tun, etwas wirklich Unangenehmes.

Zwei
    Claudius Zorn war seit einundzwanzig Jahren Polizist. Er hatte so ziemlich jeden einzelnen dieser über siebentausendsechshundert Tage gehasst, und wenn er daran dachte, dass fast noch neuntausend jener trostlosen, immer wiederkehrenden Abläufe vor ihm lagen, wurde er je nach Wetterlage wütend, traurig oder mürrisch. Er blickte auf, sah, dass der Regen noch immer in schmutzigen Schlieren vor dem Fenster hing, und entschied sich für Letzteres.
    Er war jetzt zweiundvierzig, also noch längst kein alter, frustrierter Mann. Er war einfach nur gelangweilt. Und er war sich bewusst, dass diese Langeweile über kurz oder lang in Verbitterung umschlagen würde, wenn er nichts unternahm. Aber was?, überlegte er und beobachtete, wie sich auf dem Fensterbrett seines Büros eine Regenlache bildete. Ich könnte aufstehen und das Fenster schließen, dachte er, das wär immerhin ein Anfang. Eigentlich hätte es gereicht, wenn er sich über den Tisch gebeugt hätte, das Fenster war schließlich nur einen guten Meter entfernt, doch nach kurzem Überlegen sank er resigniert zurück und zündete sich eine weitere Zigarette an. Die siebente für heute. Und es war noch nicht mal elf.
    Als Kind hatte er Schwimmer werden wollen, seine Mutter aber hatte gemeint, er sei ein musischer Mensch und solle gefälligst Flötist werden. Beides – Schwimmen und Flöten – hatte er schnell gelernt (obwohl er klassische Musik hasste und bald herausfand, dass er Chlorwasser ebenfalls nicht leiden konnte). Immerhin hatte das Schwimmen zur Folge, dass er auch jetzt noch gut in Form war – jedenfalls auf den ersten Blick, die fünfzig Meter kraulte er immer noch in gut fünfunddreißig Sekunden, jeder weitere Meter in vollem Tempo hätte aufgrund seines Zigarettenkonsums allerdings den sicheren Ertrinkungstod bedeutet.
    Das Leben, dachte Claudius Zorn und beobachtete gelangweilt die immer größer werdende Wasserpfütze auf seinem Fensterbrett, ist eine willkürliche Aneinanderreihung von Zufällen. Wie sonst ließ es sich erklären, dass ausgerechnet er bei der Polizei gelandet war? Vielleicht hatte er gehofft, er würde ein berühmter Kriminalist werden, als er sich für eine Laufbahn bei der Polizei entschied, aber genauso gut hatte es eine Zeit gegeben, in der er Kampfschwimmer, Hirnchirurg oder vielleicht Finanzberater hätte werden können. Und in letzter Zeit fragte er sich immer häufiger, ob ein Job als Flötist (Onkologe? Pizzabote?) nicht erfüllender wäre als das, was er tatsächlich tat.
    Ich bin ein mittlerer Beamter und bearbeite mittelmäßige Fälle in einer mitteldeutschen Großstadt, dachte er und sah aus dem Fenster. In der Ferne ragten die riesigen Abraumhalden des Mansfelder Landes in den Himmel, und die graue, verdreckte Stadt zu seinen Füßen wurde durch den Regen nicht eben einladender.
    Den letzten Mordfall hatte er vor mittlerweile drei Jahren bearbeitet. Ein sturzbetrunkener Rentner hatte seine Frau nach über vierzig Ehejahren vom Balkon einer Sozialwohnung in der Neustadt gestoßen, mit der Begründung, sie sei ihm »auf die Nerven gegangen«. Die Verteidigung hatte pflichtschuldigst auf »Totschlag im Affekt« plädiert, doch nachdem bekannt wurde, dass Auslöser des Streits ein paar verlegte Herrensocken gewesen waren, machte man kurzen Prozess und brachte den Rentner für die nächsten zwölf Jahre und somit – das hoffte Zorn jedenfalls – den Rest seines Lebens hinter Gitter.
    Ansonsten bestand sein Alltag aus stupidem Papiergeraschel, Bleistiftgekritzel und ab und an einem vorlauten
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