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Geschichte des Kapitalismus

Geschichte des Kapitalismus

Titel: Geschichte des Kapitalismus
Autoren: C.H.Beck
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I. Was heißt Kapitalismus?
1. Ein kontroverser Begriff entsteht
    Â«Kapitalismus» ist ein umstrittener Begriff. Viele Wissenschaftler vermeiden ihn. Er erscheint ihnen als zu polemisch, denn er entstand als Begriff der Kritik und ist jahrzehntelang auch als solcher verwendet worden. Der Begriff wird unterschiedlich und oft gar nicht definiert. Er umfasst sehr vieles, seine Abgrenzung ist schwierig. Ist es nicht besser, auf ihn zu verzichten und etwa von «Marktwirtschaft» zu sprechen?
    Andererseits gibt es eine lange Reihe sehr ernst zu nehmender Sozial- und Kulturwissenschaftler, die zur Diskussion über Kapitalismus viel Substantielles beigetragen haben. Ein Vierteljahrhundert nach dem Ende des Kalten Kriegs, der auch ein Krieg um Schlüsselbegriffe war, ist der Begriff voll in den wissenschaftlichen Diskurs zurückgekehrt. Die internationale Finanz- und Schuldenkrise seit 2008 hat das kritische Interesse am Kapitalismus zusätzlich angeheizt. Kürzlich berichtete die New York Times über einen neuen Boom von Lehrveranstaltungen zur Geschichte des Kapitalismus an amerikanischen Universitäten. Der Begriff ist auch in Europa so aktuell wie schon lange nicht, wenn auch mehr bei Publizisten, Sozial- und Kulturwissenschaftlern als bei Ökonomen.[ 1 ] Aber wenn man ihn benutzt, muss man seine Geschichte kennen und ihn scharf definieren.
    Das Substantiv «Kapitalismus» setzte sich im Französischen, Deutschen und Englischen nach vereinzelten Vorläufern erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch. Aber die Begriffe «Kapital» und «Kapitalist» waren da bereits eingebürgert. Im Deutschen ging der Begriff «Kapital» aus der Kaufmannssprache (dort spätesten im frühen 16. Jahrhundert häufig) in die Terminologie der im 17. und 18. Jahrhundert entstehenden Sozial- und Wirtschaftswissenschaften über. Er meinte zunächst das(investierte oder verliehene) Geld und später das aus Geld, Geldwerten, Papieren, Waren und Produktionsanlagen bestehende Vermögen, durchweg aber «in Rücksicht auf den Gewinn, den es erbringen sollte» (1776), statt konsumiert oder gehortet zu werden.
    Â«Kapitalist» stand seit dem 17. Jahrhundert für den «capitalreichen Mann, der bare Gelder und großes Vermögen hat und von seinem Interesse (d.h. Zinsen, J. K.) und Renten leben kann». Als «Kapitalisten» bezeichnete man des Näheren Kaufleute, Bankiers, Rentner und andere Personen, die Gelder ausleihen, also «mit Capitalien handeln oder makeln» (1717). Zwischenzeitlich stand «Kapitalist» aber auch für alle Erwerbende, «wenn sie den Überschuss ihrer Arbeit, ihres Verdienstes über ihre nötige Konsumption (hinaus) sammeln, um ihn aufs Neue auf Production und Arbeit zu verwenden» (1813). Seit dem späten 18. Jahrhundert wurden Kapitalisten überdies immer häufiger im Unterschied, bald im Gegensatz zu Arbeitern gesehen und als «Klasse der Lohnherren (Verlagseigner, Fabrikunternehmer und Kaufleute)» bezeichnet, die nicht von Lohn oder Rente, sondern von Profiten lebten (1808). Die hier bereits sichtbare klassengesellschaftliche Einfärbung des Begriffs verschärfte sich in den folgenden Jahrzehnten, als die öffentliche Armut wuchs, revolutionäre Spannungen 1848/49 ausbrachen und die Industrialisierung mit Fabrikwesen und Lohnarbeit auch in Deutschland sich durchsetzte, während die Beobachter bis ins frühe 19. Jahrhundert hinein ihr Anschauungsmaterial vor allem aus dem bereits kapitalistisch industrialisierenden England bezogen.[ 2 ]
    Abgesehen von wenigen frühen, den Sprachgebrauch nicht prägenden Verwendungen spiegelte das Substantiv «Kapitalismus» zunächst vor allem diese klassengesellschaftlich-kritische Einfärbung wider, als es sich seit Mitte des Jahrhunderts zunächst im Französischen, seit den 1860er Jahren auch im Deutschen und etwas später im Englischen durchsetzte. Der Sozialist Louis Blanc kritisierte 1850 den Kapitalismus als «Aneignung des Kapitals durch die Einen, unter Ausschaltung der Anderen». Pierre Joseph Proudhon geißelte 1851 den Grund und Bodenauf dem Pariser Wohnungsmarkt als «Festung des Kapitalismus», als er sich für Maßnahmen gegen Mietwucher und Spekulation einsetzte. 1867 notierte dann ein repräsentatives Wörterbuch den Begriff «capitalisme» als Neologismus, umschrieb ihn mit
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