Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zores

Zores

Titel: Zores
Autoren: A Pittler
Vom Netzwerk:
führte, ein Engel ins Paradies oder ob er in der Schattenwelt Scheol fern von Gott weiterexistieren würde. Die irdischen Plagen, sie fochten ihn nicht länger an. Seine Finger entkrampften sich, die Hand glitt von seiner Brust, fiel sanft auf den Fußboden. Ein letzter Seufzer noch, und sein Körper kam zur Ruhe.

I.
Donnerstag, 10. März 1938
    Also das mochte diese theologischen Klugschwätzer im Diesseits tatsächlich überraschen. Die andere Welt sah verdammt nach der Walfischgasse aus. Nikotingetränkte Gardinen, altdeutsche Essmöbel und ein grauenhaftes Persianerimitat gleich zu seinen Füßen. Gott hatte ja nicht allzu viel Zeit gehabt, die Welt zu erschaffen, aber beim Paradies hätte er sich denn doch ein wenig mehr Mühe geben können. Wo blieben die Engel bloß?
    Das war ja interessant. Im Jenseits herrschte keine himmlische Ruhe. Offenbar gab es auch hier Automobile, denn das Quäken, das an sein Ohr drang, war unzweifelhaft eine Hupe. Der ein unmissverständliches „Drah di, Depperter!“ folgte. Wie schön. Im Paradiese sprach man Wienerisch!
    Oder war das Paradies vielmehr Wien?
    Der verstaubte Teppich, die Vorhänge, die Sessel, … das war viel zu vertraut, um nicht seine Wohnung zu sein.
    Mühsam hob er die Hand und führte sie zu seinem Gesicht. Er fühlte seine fleischige Wange, fuhr sich sachte über seine Barthaare. Kein Zweifel. Er spürte sich. Er lebte also.
    Vorsichtig setzte sich Bronstein auf. Zwar fuhr ihm erneut der Schmerz in die Glieder, doch diesmal verursachte ihm dieser Umstand keine Panik, vielmehr erfüllte er ihn mit Freude. Wenn man mit über fünfzig aufwachte und es tat einem nichts weh, dann war man tot. Er aber spürte jede Faser seines Leibes, womit er eo ipso noch in dieser Welt weilte. Gevatter Tod war demnach noch einmal an seiner Pforte vorbeigezogen.
    Er achtete nicht darauf, dass seine Pyjamahose unverkennbar Flecken aufwies, die nur davon herrühren konnten, dass seine Blase sich ohne sein Zutun entleert hatte. Er fasste nach der Bettdecke und nutzte diese, um sich hochzuziehen. Bald stand er. Etwas wackelig zwar, aber er stand. So vorsichtig, wie es ihm nur möglich war, lenkte er seinen Körper in Richtung Badezimmer. Einmal dort angekommen, legte er seine Kleider ab und nahm eine grundlegende Waschung vor. Als er sich wieder rein genug wähnte, wechselte er ins Zimmer zurück, um sich in nachgerade unendlicher Langsamkeit anzukleiden.
    Er verzichtete auf Kaffee und Zigarette und begab sich ohne weitere Umschweife auf die Straße. Dort angelangt, kam er sich bald wie ein Greis vor, denn er benötigte für die Strecke zum Präsidium das Dreifache der üblichen Zeit.
    Als er endlich an seinem Schreibtisch saß, kam er zu dem Schluss, dass sein Frühstück diesmal aus einem Aspirin und einem Glas Wasser bestehen würde. Dann, und erst dann, war an eine „Donau“ zu denken.
    Er war noch am Verdauen, als die Tür aufging und Cerny im Raum erschien.
    „Servus, Oberst. Wir ham an Mord.“
    „Komm, Cerny, lass mich ang’lehnt. Mir geht’s gar ned guat. Heut Nacht hab ich glaubt, ich stirb.“
    „Na jetzt hör aber auf. Wie ist denn das passiert?“
    Und Bronstein berichtete von seiner nächtlichen, wie er es nannte, Nahtoderfahrung.
    Cerny pfiff durch die Zähne. „Hörst, das klingt gar nicht gut. Du solltest dich untersuchen lassen, bevor wirklich was passiert. Vielleicht brauchst eine Kur oder so etwas.“
    „Du hast leicht reden, Cerny. Wenn ich mich in der nächsten Zeit krankmeld, dann kann ich eine Beförderung endgültig vergessen. Obwohl …“, und an dieser Stelle seufzte Bronstein vernehmlich, „so wie’s im Augenblick ausschaut, kann ich mir die ohnehin schnitzen.“
    Und wie aufs Stichwort erklang von der Straße Lärm. Cerny öffnete das Fenster, um Nachschau zu halten. Direkt unter den Fenstern des Sicherheitsbüros hielten die illegalen Nazis eine Demonstration ab.
    „Es pfeift von allen Dächern, für heut die Arbeit aus, es ruhen die Maschinen, wir gehen müd nach Haus. Daheim ist Not und Elend, das ist der Arbeit Lohn, Geduld, verrat’ne Brüder, schon wanket Judas Thron.“
    Angewidert schloss Bronstein das Fenster. Da waren diese Saukerle nach wie vor verboten, doch sie benahmen sich, als wäre Wien bereits Berlin.
    Mit schnarrenden Trommeln und krachenden Stiefeln marschierte der Sturmtrupp der Nazis auf den Ring zu und schmetterte dabei eines der besonders penetranten Lieder dieser sogenannten Bewegung.
    „Man kann nur hoffen, dass
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher