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Zores

Zores

Titel: Zores
Autoren: A Pittler
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Nur der Name Raczek ging ihm nicht aus dem Kopf. Irgendwie war ihm der schon einmal untergekommen, er konnte sich nur nicht daran erinnern, in welchem Zusammenhang. Es musste lange her sein, sagte er sich schließlich.
    Und doch hatte ihn die Neugier gepackt. Er hielt im ersten Stock nicht inne, sondern ging weiter in den zweiten. Linker Hand stand in schnörkeliger Schrift „Vejvoda“. Er wandte sich also nach rechts und klopfte.
    Eine schlanke Blondine öffnete, die nicht nach Mitte vierzig aussah. Sie hatte strahlend weiße Zähne, obwohl sie rauchte, wie Bronstein am qualmenden Aschenbecher, der hinter der Frau auf dem Küchentisch stand, erkennen konnte. Einen Moment lang wirkte die Frau irritiert, dann huschte ein Lächeln über ihr Gesicht.
    „25 Jahre.“
    Bronstein war verwirrt. „Wie bitte?“
    „25 Jahre. So lange ist das jetzt schon her.“
    „Was?“
    „Dass wir uns zuletzt gesehen haben. Du bist doch der Kieberer aus der Urania. Hast dich überhaupt ned verändert.“
    Endlich fiel bei Bronstein der Groschen.
    „Jössas! Capri! Der Lichtbildervortrag! Das Fräulein Johanna.“ Er strahlte wie ein kleines Kind.
    „Genau. Das Fräulein Johanna. Capri. Und das Geheimnis des Nil. Und auf den Spuren der alten Kreter. Und noch so ein paar G’schichten. Ich hab mich schon richtig an dich g’wöhnt g’habt. Und dann bist auf einmal nimmer kommen.“
    „Ja. Im August 14. Und dreimal darfst raten, warum.“
    „Bist du leicht auch eing’rückt? Ich hab g’laubt, Kieberer sind unabkömmlich.“
    „Eh. Aber ich Trottel hab mich freiwillig g’meldet.“
    Die Raczek machte eine mitfühlende Miene. „Die Volkshochschul’ wär wahrscheinlich lustiger g’wesen, was?“
    „Wem sagst du das. Aber hinterher is ma immer g’scheiter.“
    Der Satz wurde von einem Nicken der Raczek beantwortet.
    „Mei, dass ich dich hier treff, das verschlagt mir glatt die Red’“, bemühte sich Bronstein, die Konversation in Gang zu halten. „Und du bist immer noch so fesch wie damals – also falls ich das überhaupt sagen darf.“ Er sah schüchtern zu Boden.
    „Komplimente darf man mir immer machen“, lachte die Raczek, „aber komm doch erst einmal rein. Magst was trinken? Einen Kaffee vielleicht?“
    „Da sagert ich nicht nein.“
    Bronstein folgte der Raczek in ihr Reich. Offenbar konnte man von der Fotografie ganz gut leben, denn die Wohnung war beinahe so groß wie jene von Suchy, wenn auch mit wesentlich mehr Geschmack eingerichtet. „Schöne Bilder“, sagte er, während er hinter der Raczek herging, „sind die alle von dir?“
    „Gar keines“, lachte sie, „das sind alles Werke von Kollegen. Das da zum Beispiel“, abrupt blieb sie stehen, „ist von der Modotti. Die ist aus Ferlach in Kärnten. Karriere g’macht hat’s aber drüben in den Staaten. Und das“, sie deutete auf eine andere Fotografie, die gleich daneben hing, „ist von Moholy-Nagy. Der hat einige Zeit in Wien gelebt, bevor er nach Berlin gegangen ist. Aber du siehst, er hat es mir persönlich signiert.“ Dabei lächelte sie. „Warte, da drüben habe ich noch einen Koppitz. Von dem habe ich einiges gelernt auf der Graphischen damals.“
    Bronstein bemühte sich um einen anerkennenden Pfiff. „Du hast es weit gebracht, Johanna. Alle Achtung.“
    „Na ja, das war nicht leicht. Und es wäre mir wahrscheinlich auch nicht gelungen, wenn das 18er Jahr nicht gewesen wär. Danach hatte man es als Frau eine Zeit lang ein wenig leichter als zuvor und heutzutage.“
    Sie waren in der Küche angelangt, und die Raczek begann an ihrer Kaffeemaschine herumzuhantieren.
    „Aber sag, wie ist es dir all die Jahre ergangen?“
    „Na ja, einmal Kieberer, immer Kieberer. Nichts B’sonderes also.“
    „Und, hast du Frau und Kinder?“
    „Leider nein. Du aber auch nicht, wie ich höre.“
    „Ach so, da erkennst mich erst gar nicht, und dann weißt, dass ich nicht verheiratet bin und keine Kinder habe?“
    Bronstein setzte zu einer Erklärung an, doch die Raczek winkte nur ab: „Die Jedlicka, ich weiß schon.“ Und wieder ihr bezauberndes Lächeln. Bronstein konstatierte, dass man ihr ihre 42 Lebensjahre in keiner Weise ansah. Ihr Körper wies dieselbe Grazie wie damals in der Urania auf. Höchstens, dass er vielleicht ein wenig vollendeter wirkte als dazumal. Doch ihr Gesicht hatte nicht das kleinste Fältchen, und ihre Augen waren immer noch so wachsam und wissbegierig wie bei der ersten Begegnung. Bronstein ertappte sich bei dem Gedanken, es
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