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Zores

Zores

Titel: Zores
Autoren: A Pittler
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alten Deppen. So, wie sie damals viel zu gut für den jungen Deppen war, der er damals gewesen. Unwillkürlich seufzte er. Und er ahnte, dass er auch in der folgenden Nacht schlecht schlafen würde. Denn war er erst einmal allein in seiner Wohnung, würden seine Gedanken um nichts anderes als um sie kreisen. Na ja, und um sein verpfuschtes Leben. Aber das war ja tägliche Routine, das fiel also weiter nicht ins Gewicht. Doch jetzt war er im Dienst. Also hatte er gefälligst zu ermitteln.
    Er ordnete sein Gewand und kam zu dem Schluss, die anderen Hausparteien doch noch zu befragen. Mochte auch niemand von denen für die Tat in Frage kommen, so war es doch möglich, dass irgendjemand eine Beobachtung gemacht hatte, die ihm in dem Fall weiterhelfen konnte. Und da er sich nun schon einmal in Johannas Stockwerk befand, konnte er gleich mit der alten Vejvoda beginnen. Er querte den Gang und klopfte.
    Es brauchte eine gute Weile, ehe ihm die Tür aufgetan wurde. Unwillkürlich erschrak er. Die alte Vejvoda würde die Volksabstimmung nicht mehr erleben, dachte er, so wie sie aussah.Die ausdruckslosen Augen lagen tief in den Höhlen, der ganze Kopf wirkte wie ein Totenschädel, von dem noch ein paar vereinzelte Haare abstanden. Die lederne Haut erweckte trotz der zahlreichen Falten den Eindruck, als stünde Bronstein eine dieser Mumien gegenüber, die man in Brünn und Klattau besichtigen konnte, und dieser Eindruck wurde durch die extreme Unterernährung der Frau unterstrichen. Auf kaum jemanden schien der Ausdruck „Haut und Knochen“ mehr zu passen.
    Der Vejvoda war offenbar Bronsteins Schrecken nicht entgangen. „Ja“, sagte sie beinahe tonlos, „ich pflege diesen Eindruck auf Personen zu haben, die meiner zum ersten Mal ansichtig werden. Aber keine Sorge, junger Mann, ich bin nicht ansteckend. Das heißt, nur wenn Sie auch so einen Rabenbraten in die Welt gesetzt haben wie ich, Gott sei’s geklagt. Der Franz bringt mich noch ins Grab. Und dass ich noch leb, das ist eigentlich nur dem Umstand geschuldet, dass ich diesem missratenen Parvenü genau diesen Gefallen nicht machen will.“
    Bronstein wusste nicht, was er sagen sollte.
    „Aber entschuldigen Sie bitte“, fuhr die Vejvoda fort, „da überfalle ich Sie gleich mit den Beschwernissen, die einer armen Mutter von ihrem undankbaren Sohn zugefügt werden, und stelle mich nicht einmal vor. Amalie Vejvoda, bitte schön. Und mit wem habe ich die Ehre?“
    „Oberst Bronstein. Polizeidirektion Wien“, replizierte er knapp.
    „Hat er sich jetzt auch gegenüber der Gesellschaft versündigt, der Franz?“, fragte sie.
    „Nein …, zumindest nicht, dass ich wüsste. Frau Vejvoda, ich bin von der Mordkommission, und ich muss den Tod Ihres Hausherrn untersuchen.“
    „Der Herr Suchy …“
    „… ist tot, jawohl. Und er ist keines natürlichen Todes gestorben, das steht fest. Daher müssen wir jetzt die in solchen Fällen üblichen Schritte setzen. Und einer davon ist, die übrigen Hausparteien danach zu fragen, ob sie vielleicht etwas gehört oder gesehen haben, wissen Sie, Frau Vejvoda.“
    Die alte Frau starrte scheinbar ausdruckslos ins Leere.
    „Der … ist echt … vor mir … Also das … hätt ich mir … ned gedacht.“ Sie brauchte eine Weile, um sich zu fassen. „Aber wollen Sie nicht reinkommen, Herr …“
    „… Bronstein.“
    „Genau. Wollen S’?“
    „Danke, gnädige Frau. Da sag ich nicht nein.“
    Er betrat ein verhältnismäßig geräumiges Vorzimmer, das schief gegenüber der Tür eine kleine Ausbuchtung mit einem Fenster aufwies, unter dem sich ein kleiner Tisch befand.
    Die Vejvoda bot Bronstein mit einer Geste ihrer rechten Hand Platz an. „Wollen S’ vielleicht eine Erfrischung, Herr …“
    „… Bronstein.“
    „Genau. Wollen S’?“
    „Wenn S’ vielleicht ein Glaserl Wasser hätten? Das wäre nett.“
    „Bitte schön. Kommt sofort.“ Die Frau begab sich in ihre Küche, was Bronstein Gelegenheit bot, sich ein wenig im Vorzimmer umzusehen. Es war übersät mit Fotografien eines Mannes in vordergründig tragischen Posen, und Bronstein war sich sicher, dass es sich dabei um den Dichterfürsten handelte. Er konnte nicht behaupten, sonderlich viel über Franz Vejvoda zu wissen. Einerseits war er kein Freund der Lyrik, andererseits war Vejvoda ja erst im Ständestaat zu Ruhm und Ehre gelangt. „Uns sei hienieden ewiglich Dein Glanz beschieden.“ An diese Zeile konnte er sich noch erinnern, denn dafür hatte Vejvoda den
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