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Zitronentagetes

Zitronentagetes

Titel: Zitronentagetes
Autoren: Britta Orlowski
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kam ihnen nach erfolgreichem Fang entgegen. Sie befanden sich in Höhe des alten Leuchtturms, als sie einander trafen.
    »Na, wie war die Nacht?« Flo strubbelte Kevin durch das Haar. »Jetzt bist du müde, was?«
    »Mutti, so was macht mir doch nichts aus.«
    Von wegen, gerade hatte sie beobachtet, wie er ein Gähnen hinter der Hand versteckte.
    »Die Möwen machen einen Radau heute Morgen.« Marc hob den Kopf und blieb wie angewurzelt stehen. Sie folgte seinem Blick. Am Geländer der Aussichtsplattform stand jemand in völliger Reglosigkeit. Eine Frau mit aschblondem Haar. »Mom«, rief er erschrocken.
    »Wartet hier«, rief Flo den Kindern zu und eilte mit den anderen die Stufen hinauf. Sie spürte, wie ihr Herz gegen die Rippen pochte. Für eine Nanosekunde kam ihr Liza Peterson in den Sinn. Plötzlich wusste sie, was seine Mutter vorhatte. »O Gott.«
    Megan summte ein Kinderlied, während sie auf dem alten Geländer balancierte, den Arm um den Balken geschlungen, der die Überdachung stützte. Marc wollte schon zu ihr und das Geländer erklimmen, als Floriane ihn packte. »Bist du verrückt? Du kannst da nicht rauf … dein Bein.«
    Sie hatte recht, begriff er. »Aber ich muss … Lass mich.«
    »Nein«, schluchzte sie. »Du wirst abstürzen.«
    Sekundenlang starrten sie sich wortlos an. Ehe sie es noch richtig begriffen, schwang sich Tyler auf das Geländer.
    Charlotte erschrak, Flo berührte ihre Hand. Megans Oberkörper wiegte hin und her. Ihre Hand um den Pfeiler öffnete und schloss sich wieder. Sie schien wie in Trance, hatte die anderen noch nicht bemerkt. Flo schlang beide Arme um Marcs Hand und packte so fest zu, wie sie konnte.
    »Ich war ein braves Mädchen«, erklang die hohe Stimme eines Kindes. Megan war offenbar in ihre Vergangenheit geschlüpft.
    »Natürlich«, antwortete Tyler mit seiner tiefen Stimme.
    »Mama soll nicht traurig sein.«
    »Sie weiß nichts davon?« Tyler spielte mit.
    Megan schüttelte heftig den Kopf und verlor beinahe den Halt.
    »Vorsicht«, mahnte Tyler. »Ganz ruhig. Er kann dir nichts mehr tun.«
    »Wirklich?« Die Kinderstimme klang erstaunt und zugleich voller Hoffnung. »Du kennst ihn nicht.« Jetzt war sie wieder resigniert.
    »Ich sorge dafür, dass er dich nicht mehr anfasst.«
    »Ehrlich?«
    »Ja. Hab keine Angst.«
    »Das darf er nämlich nicht.«
    »Nein. Komm, gib mir deine Hand.«
    »Er verlangt hässliche Dinge von mir.«
    »Jetzt nicht mehr. Es ist schon lange her, stimmt’s?«
    »Ja.« Sie überlegte einen Moment. »Ganz lange.«
    »Siehst du, lass uns nach Hause gehen. Er ist fort.«
    »Ja, gestorben. Ich habe den Brief aufgehoben.«
    »Das ist gut. Darf ich deine Hand nehmen?«
    Megan biss sich in die Oberlippe und sah Tyler abschätzend an. »Aber du bist ein Mann.«
    »Ja. Ich würde nie einem Mädchen etwas zuleide tun. Glaubst du mir das?«
    »Gute Männer, böse Männer.« Megan kicherte. »Du bist gut.«
    Tyler nickte und versuchte, näher an sie heranzukommen.
    »Mama wird weinen. Ich will nicht, dass sie traurig ist.«
    »Sie weint, weil sie dich lieb hat.«
    »Für immer?«
    »Auf ewig.«
    Eine Bö frischte auf und erfasste Megans Kleid. Hastig wollte sie es richten und verlor den Halt. Tyler reagierte blitzschnell. Er umfasste ihre Taille und hielt Megan fest, während er lediglich mit einem Arm am Stützpfeiler hing. Ihre Füße traten ins Leere, aber er ließ sie nicht los.
    Flo und Marc lösten sich aus ihrer Starre und packten zu. Sie hoben Megan über die Brüstung, während Charly versuchte, Tyler zu stützen.
    »Mom, o Gott.« Marc hielt seine Mutter fest an sich gepresst.
    »Er ist stark«, raunte sie ihrem Sohn zu und wies dabei auf Tyler.
    »Für irgendwas musste die jahrelange Feldarbeit ja nützlich sein«, sagte Tyler leise zu Flo.
    Charlotte rief einen Krankenwagen.
     
    *
     
    »Danke.« Marc nahm Tylers Hand in seine.
    »Du wusstest nichts davon, dass deine Mutter als Kind missbraucht wurde?«
    Marc schüttelte den Kopf, er war erschüttert. Jetzt ergab ihr Verhalten natürlich einen Sinn. »Sie hat nie etwas gesagt«, sprach er mehr zu sich selbst. »Wie bist du darauf gekommen?«
    Tyler sah ihn lange an und wandte schließlich den Kopf. »Ein missbrauchtes Kind erkennt das andere.«
    Bis zu diesem Tag hatte er stets geglaubt, Tyler sei von seinem Stiefvater verprügelt worden. Nun erfasste er erst das ganze Ausmaß. Hilflos sackten seine Schultern nach vorn. »Es tut mir leid.«
    Tyler nickte. »Das muss unter uns
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