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Zicke

Zicke

Titel: Zicke
Autoren: Sara Zarr
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Lee, und ihre Stimme verblüffte mich.
    »Hey, ich glaub, du warst letztes Jahr in meinem Schauspielkurs, stimmt’s?« Lee war damals überhaupt noch nicht auf der Terra Nova.
    |42| »Ich habe nie Schauspiel belegt«, sagte er und starrte mich unverwandt an.
    Lee beugte sich über den Tresen und hob die Stimme: »Warst du in der Schwimmgruppe?«
    »Könntest du vielleicht einfach da drauf notieren, sie sollen mich so bald wie möglich anrufen?« Ich packte Lee am Arm. »Lass uns
gehen

    Als wir nach draußen kamen, fragte sie: »Okay, was als Nächstes?«
    »Er wusste was über mich. Das hab ich gespürt.«
    »Du hast ’ne Paranoia.« Sie zog mich an dem bretterverschlagenen Schreibwarenladen vorbei und an dem Schuhladen, der Totalausverkauf hatte, seit ich in der sechsten Klasse war. Lee sagte mit gedämpfter Stimme: »Eines nicht so fernen Tages solltest du schlichtweg einem von denen in die Augen sehen und sagen: ›Ja, das bin ich, und was soll’s?!‹ In meiner Schule in San Francisco hätte es niemanden auch nur im Geringsten gekümmert.«
    »Ja, schon, aber wir sind hier in Pacifica. Eine Highschool, eine Gerüchteküche, eine Topstory: ich.«
    »Was ist mit Dax Leonard, der mit dem Liebesbrief auf Französisch an Madame Rodriguez erwischt wurde?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Nicht das Gleiche.
    Eigentlich ist nichts passiert. Außerdem ist er ein Kerl und sie ist eine heiße Lehrerin. Wenn was passiert
wäre
, dann wäre er ein Held. Keine Schlampe.«
    »Okay. Trainer Waters findet Julie Archer und Tucker Bradford in der Mädchenumkleide am Tag der |43| Enthaltsamkeit. Das war im Oktober und die Leute reden immer noch drüber.«
    »Du kapierst es nicht«, sagte ich. »Julie ist sozusagen
stolz
auf diese Geschichte. Sie erzählt sie genauso oft wie Tucker.«
    »Ich weiß. ’tschuldige. Ich weiß, dass du nicht drüber reden willst.«
    Ich war schon woanders. Im Kopf sah ich das Mädchen auf den Wellen, wie es dahinhüpfte, sich meine Gedanken dachte, meine Gefühle fühlte, in die Ferne surfte.
    Bei
Subway
nahm eine Frau meine Bewerbung an und fragte, ob ich schon irgendwelche Erfahrungen hätte – als ob man zum Sandwichmachen einen Doktortitel bräuchte oder so. Nach einer Minute bei
Wendy’s
, wo der Chef gerade einen Mitarbeiter anschrie, er solle die Toiletten putzen, beschloss ich, mich nicht zu bewerben.
    »Das ist ätzend«, sagte ich. »Ich brauch noch einen Donut.«
    »Wir haben immer noch das
Picasso
«, sagte Lee und strich mir übers Haar.
» Danach
kriegst du noch einen Donut.«
    Wir gingen hinüber zur Pizzeria
Picasso
, einer totalen Spelunke, die es schon seit Urzeiten an der Beach Front gibt. Es ist die letzte Pizzeria in der Stadt, die nicht zu einer Kette gehört, sie haben keinen Lieferservice und im Grunde ist es ein Treffpunkt für fünfundzwanzigjährige Typen, die meist mit dem BMX-Rad unterwegs sind.
    |44| Ich starrte durch das schmierige Fenster. »In diesem Scheißladen will ich gar nicht arbeiten.«
    »Verlang nach dem Chef«, sagte Lee. »Wenn sie nach Kassenerfahrung fragen, sag ihnen, dass du immer gute Noten in Mathe bekommst und schnell lernst.«
    »Bist du jetzt so was wie ein Bewerbungstrainerin?
    Du machst doch nie was anderes als Babysitten.«
    »Ich sage nur, was
ich
tun würde.«
    Darren sagt ständig, ich solle auf Lee hören. Sie sei ein gutes (kluges?) Mädchen, behauptet er.
    Wir gingen rein. Drinnen war es wie immer zappenduster. Ich weiß nicht, ob es daran lag, dass sie so was wie ›Atmosphäre‹ erzeugen wollten, oder an einer unbezahlten Stromrechnung. Was auch immer, wir stolperten ein paar Minuten lang herum, bis sich unsere Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Der einzige Mensch hier, soweit ich sehen konnte, war eine schlecht toupierte Frau, die ranzig wirkende Kidneybohnen an der Salatbar nachfüllte. »Hi«, sagte ich und versuchte dabei forsch und nicht Deanna-mäßig zu klingen. »Ist der Chef da?«
    »Wart mal.« Sie ging in ein Hinterzimmer und kam kurz darauf mit einem Mann wieder zum Vorschein. Er war vielleicht um die vierzig, dünn, neigte zur Glatze und hatte einem Schnurrbart. Er hatte einen kräftigen Händedruck, aber nicht einer von diesen Knochenbrechern, mit denen dir Typen klarmachen wollen, wie selbstbewusst sie doch sind.
    »Hallo«, sagte er mit einer Stimme, die so tief war, dass ich beinahe lachen musste. »Ich bin Michael.«
    |45| »Hi. Ich bin hier, um meine Bewerbung abzugeben.«
    »Schön. Komm mit.«
    Ich wandte
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