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Zicke

Zicke

Titel: Zicke
Autoren: Sara Zarr
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mich Lee zu. »Bin gleich zurück.«
    Michael ging voraus zu einer Sitzecke; meine Schuhe machten eklig klebrige Geräusche, während wir über den ewig nicht mehr gewischten Boden um die Salatbar herumgingen. Während er eine Brille aus seiner Hemdtasche holte, griff ich rasch nach einer Serviette und wischte für alle Fälle den orangefarbenen Kunstlederbezug der Bank ab.
    »Zunächst sollte ich dir sagen«, begann Michael, »dass das Geschäft zurzeit ein wenig lahmt. Seit 9/11 und Enron und Irak und all dem anderen Bullshit – entschuldige bitte –, den dieses Land durchgemacht hat, hat es den Anschein, dass die Pizza nicht mehr die geschätzte Position im Familienbudget einnimmt, die sie einst innehatte.«
    Mir lag auf der Zunge, dass das lahmende Geschäft eher mit dieser beschissenen Pizzeria ohne Lieferservice zu tun hatte als mit der Weltpolitik, aber da das
Picasso
wohl meine letzte Hoffnung war, hielt ich den Mund.
    Er stellte mir ein paar Fragen und sagte dann: »Normalerweise habe ich zwei oder drei Leute hier, mich eingerechnet. Im Sommer läuft es ein wenig besser, und ich möchte noch jemanden mit an Bord haben, falls mal viel los ist.« Er hielt inne, als ob er auf eine Reaktion von mir wartete.
    »Ähem – ja.«
    »Wie auch immer, außer dir hat sich niemand richtig |46| beworben. Also …« Er spreizte die Finger und zuckte die Achseln.
    »Wie steht’s mit der Bezahlung?«
    »Alle fangen mit dem Mindestlohn an, aber wenn du nach zwei Wochen noch da bist, leg ich dir noch fünfzig Cent obendrauf. Außerdem kriegst du für jede Schicht, die du machst, eine Pizza aufs Haus.«
    Mindestlohn. Das war praktisch nichts. In meiner Vorstellung schrumpfte der Haufen Geld, den ich auf Darrens und Stacys Bett würde werfen können, in sich zusammen. »Wie viele Stunden kann ich machen?«
    »Ich kann dir im Moment fünfundzwanzig geben. Mehr vielleicht, wenn jemand krank wird oder mehr los ist.«
    Es war nicht gerade mein Traumjob, aber Michael wirkte ganz cool, wie ein geradliniger, bodenständiger Typ.
    »Gut«, sagte ich.
    »Gut? Du willst den Job haben?«
    Ich nickte. »Sicher.«
    Michael lächelte. Er hatte gelbliche Zähne, als würde er drei Packungen täglich rauchen oder literweise Kaffee trinken. »Spitze.« Er stand auf und schüttelte mir erneut die Hand. »Komm morgen um sechs vorbei, dann arbeiten wir dich ein. Du kriegst dann ein
Picasso -Shirt
von mir. Welche Größe hast du, S?«
    »M.«
    »Jeans sind okay. Nur deine Haare solltest du zurückbinden.«
    |47| »Danke«, sagte ich. Michael verschwand nach hinten und ich ging raus zu Lee. »Ich hab ihn.«
    »Jippee!« Ich sah sie scharf an, und sie senkte die Stimme. »›Jippee‹, oder etwa nicht?«
    »Nicht so richtig. Aber so ist das Leben.«
    »Kriegst du Pizza aufs Haus?«
    »Jaah.«
    »Toll!«
    ***
    Stacy und mein Dad stritten gerade, als ich nach Hause kam. Sie standen im düsteren Flur, mein Dad pitschnass in seinem Umhang, Stacy trug immer noch die schmutzige Jogginghose und wiegte April in ihren Armen. Sie schienen mich nicht zu bemerken.
    »Wäre schön, wenn ich mich in meinem eigenen Haus mal hin und wieder heiß duschen könnte«, schimpfte Dad.
    »Wenigstens hast
du
Zeit zum Duschen.«
    »Dein Tag hat vierundzwanzig Stunden wie der von allen anderen auch.« Er ging ins Badezimmer und schloss die Tür, ehe Stacy antworten konnte. Ich beobachtete, wie sie dastand und ins Leere starrte. Ich kannte dieses Gefühl.
    »Hey«, sagte ich behutsam.
    Sie drehte sich überrascht um. »Deanna, du bist’s.« Dann machte sie ihre Bewegung.
    Stacy hat diese Angewohnheit, diese Bewegung: Was auch passiert, sie kann sich zusammenreißen, indem sie auf diese gewisse Art die Haare schüttelt und |48| die rechte Hand in die Hüfte stemmt, und dann denkst du: ›Heilige Scheiße, leg dich bloß nicht mit diesem Mädchen an. Das ist das Mädchen, das um Terra Nova herumstreift, und wehe, jemand sieht sie schief an!‹ Ich sah diese Bewegung bei ihr, als Darrens Ex, Becky, sie im
Taco Bell
unten am Strand ein paar Stufen die Treppe runtergeschubst hatte. Und auch an dem Tag, als sie zu uns ins Haus zog – als ihre Mom sie vorbeibrachte und meinte: »Also, genau so habe ich mir dein künftiges Leben vorgestellt.«
    So eine Bewegung brauchte ich auch.
    April begann zu wimmern. Stacy wiegte sie ein wenig, während wir in die Küche gingen. »Ich habe die Todsünde begangen, meine Wäsche zu waschen. Wahrscheinlich hat er kein heißes Wasser zum Duschen.
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