Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zicke

Zicke

Titel: Zicke
Autoren: Sara Zarr
Vom Netzwerk:
Umarmerin, und du kannst eigentlich nicht lange auf jemanden wütend sein, der dich dauernd in die Arme nimmt. Ich war zuvor noch nie mit so jemandem befreundet. Jason ist nicht der Typ, der ein Mädchen umarmt, wenn er nicht mit ihm geht; Darren auch nicht. Meine Mutter ist kaum zu Hause, weil sie so viel arbeitet, und ich glaube nicht, dass Dad mich seit der Pubertät berührt hat, nicht einmal, bevor die Geschichte mit Tommy passierte. Lees Mom, die ich ungefähr zweimal im Monat sehe, nimmt mich |39| öfter in den Arm als irgendjemand aus meiner eigenen Familie.
    Ich zog meine Jacke fester zu. », Wetten, in Santa Barbara hast du die Sonne wenigstens mal gesehen«, sagte ich. »Hier draußen hat man das Gefühl, es sind gerade mal zehn Grad.«
    »Ah, Sommer in Pathetica!«
    Man sollte meinen, die Tatsache, dass Pacifica nur dreißig Kilometer von San Francisco entfernt ist, würde es zu einem coolen oder wenigstens interessanten Ort machen, aber es ist nur neblig und dröge und zehn Jahre der Stadt hinterher, was Klamotten und Musik angeht. Wenn du nach der Terra Nova nicht wegkommst, wirst du wahrscheinlich dein ganzes Leben lang hier sitzen bleiben, an der Tankstelle arbeiten oder im Videoverleih oder bei
Safeway
Einkäufe eintüten, bis du vergisst, dass es nur fünfzehn Minuten entfernt diese andere Welt gibt.
    Wir gingen rein und diese Welle aus warmer Backstubenluft und Zucker und Vanille schwappte uns entgegen, die so unglaublich gut ist – etwa zwanzig Sekunden lang, dann wird dir allmählich schlecht davon. Der Laden war ständig leer, nur an einem Tisch in der Mitte saßen immer alte Männer mit Segeltuch-Hüten und beigen Jacken, die über alles schimpften, wirklich
alles
, angefangen damit, dass niemand mehr wisse, wie man über Politik reden könne, ohne einen Krieg anzufangen, dann darüber, dass Frauen nicht mehr wüssten, wie man sich als Frau zu benehmen habe, und schließlich darüber, dass keiner mehr eine |40| Ahnung habe, wie man einen anständigen Donut backt. Die Welt im Jahre 1958 war offenbar perfekt gewesen.
    Wir aßen draußen auf der Bank, damit die Alten nicht jedes unserer Worte hörten und sich dann beschwerten, dass die jungen Leute heutzutage nicht mehr wüssten, wie man die englische Sprache gebraucht.
    »Dieser Donut hier, der hat früher doch noch zwei Cent gekostet«, sagte ich mit einer kauzigen Altmännerstimme.
    »Ich kann mich nicht über meinen Einundzwanzigstes-Jahrhundert-Donut beschweren«, meinte Lee.
    Caitlin Spinelli kreuzte auf dem Parkplatz der Mall auf und fuhr in ihrem neuen Jetta an uns vorbei, die Fenster heruntergelassen. »Muss nett sein«, sagte ich, als ich ihren Kopf zu einem Rap-Song nicken sah, bei dem sie ihren Player bis zum Anschlag aufgedreht hatte. »Der ist doch klar, dass sie eine Weiße ist, oder?«
    »Jettas und Rap«, antwortete Lee. »Nach wie vor das beliebteste kleinstädtische Oxymoron. Mein erstes Auto wird wahrscheinlich der El Camino meines Stiefvaters sein.
Das
ist mal ein Auto, in dem du rappen kannst.«
    Ich aß den altmodischen Schoko-Donut zu Ende, dann zeigte ich Lee meine Zähne. »Noch irgendwelche Schokoreste?«
    »Nichts, du bist glasurfrei. Siehst gut aus«, sagte sie und stand auf. »Wie eine ernsthafte Stellenbewerberin.«
    |41| »Gut so. Fühlen tu ich mich nämlich eher wie eine Null.« Ich hatte mich angezogen wie eine Tussi aus einem konservativen Schülerinnenverein: schwarze Hose und eine ordentliche Bluse statt der üblichen Jeans mit T-Shirt. Ich wusste nicht, wie das ging, sich als Arbeitskraft zu verkaufen. Zum Beispiel, wie überzeugst du jemanden, dass du nicht alles klaust oder die Kundschaft verscheuchst? Es musste klappen; ich durfte keine Zeit verschwenden.
    Zuerst gingen wir zu
Walgreens
, und ich gab meine Bewerbung bei einem hageren jungen Typen an der Kasse ab.
    »Sie werden dich anrufen, um einen Gesprächstermin zu vereinbaren«, sagte er und warf einen Blick auf die Bewerbung. Er wollte sich gerade zu seiner Kasse umdrehen. »Moment mal. Deanna Lambert … den Namen kenn ich.«
    ›Schön‹, dachte ich. ›Welche Version von Deanna Lambert kennst du?‹ »Wann rufen die mich an?«
    Er musterte mein Gesicht und ich spürte den Donut steinhart in meinem Magen liegen. Ich kannte ihn nicht aus der Schule, aber er konnte auch ein namenloser Computerfreak aus Tommys Jahrgang sein. »Wir kriegen eine Menge Bewerbungen«, sagte er. »Könnte eine Woche dauern. Gehst du auf die Terra Nova?«
    »Jaah«, sagte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher