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Zerbrechlich - Zerbrechlich - Handle with Care

Zerbrechlich - Zerbrechlich - Handle with Care

Titel: Zerbrechlich - Zerbrechlich - Handle with Care
Autoren: Jodi Picoult
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gesurft oder dir Sendungen im ­History Channel angeschaut, bei denen ich eingeschlafen wäre. Die Leute erschraken regelrecht, wenn sie auf eine Fünfjährige trafen, die wusste, dass das Geräusch einer Toilettenspülung die Tonlage E-Dur hat oder dass ›town‹ das älteste Wort der englischen Sprache ist. Aber Mom hat gesagt, dass viele Kinder mit OI ungewöhnlich früh zu lesen beginnen und sprachliche Frühentwickler sind. Ich habe mir das immer wie einen Muskel vorgestellt: Dein Gehirn ist eben mehr benutzt worden als dein übriger Körper, in dem ständig ein Knochen kaputt war; kein Wunder also, dass du wie Klein-Einstein geklungen hast.
    »Habe ich alles?«, fragte meine Mutter, aber sie redete mit sich selbst. Sie ging nun schon zum millionsten Mal ihre Liste durch. »Der Brief«, sagte sie und drehte sich zu mir um. »Amelia, wir brauchen den Arztbrief.«
    Sie meinte einen Brief von Dr. Rosenblad, in dem das Offensichtliche stand: dass du OI hast und von ihm im Krankenhaus behandelt wirst. Der Brief sollte im Notfall vorgelegt werden – was ziemlich komisch war, denn mit deinen ganzen Knochenbrüchen warst du ständig ein Notfall. Der Brief lag im Handschuhfach des Vans neben den Fahrzeugpapieren, dem Handbuch des Toyotas, einer alten Karte von Massachusetts, einer Quittung von Jiffy Lube und einem alten, ausgewickelten Kaugummi, der inzwischen vertrocknet war. Ich hatte einmal Inventur gemacht, während Mom an der Tankstelle bezahlte.
    »Wenn er sowieso im Van liegt, warum kannst du ihn dir dann nicht selbst nehmen, wenn wir zum Flughafen fahren?«
    »Weil ich das mit Sicherheit vergessen werde«, antwortete Mom, als Dad gerade hereinkam.
    »Alles abreisebereit«, erklärte er. »Was meinst du, Willow? Wollen wir Micky besuchen gehen?«
    Du hast ihn breit angegrinst, als wäre Micky Maus real und nicht irgendein Teenager, der sich in den Ferien mit einem großen Plastikteil auf dem Kopf etwas dazuverdient. »Micky Maus hat am 18 . November Geburtstag«, hast du verkündet, während Dad dir vom Stuhl herunterhalf. »Amelia hat mich beim Schnick-Schnack-Schnuck geschlagen.«
    »Das kommt, weil du immer ›Schere‹ machst«, sagte Dad.
    Mom warf noch einen letzten Blick auf ihre Liste und runzelte die Stirn. »Sean, hast du das Motrin eingepackt?«
    »Zwei Flaschen.«
    »Und die Kamera?«
    »Mist, die habe ich oben auf der Kommode liegen lassen …« Er drehte sich zu mir um. »Süße, kannst du sie eben holen, während ich Willow in den Wagen setze?«
    Ich nickte und lief nach oben. Als ich mit der Kamera in der Hand wieder nach unten kam, war Mom allein in der Küche und drehte sich langsam im Kreis, als wisse sie nicht, was sie ohne Willow an ihrer Seite tun solle. Schließlich schaltete sie das Licht aus, schloss die Haustür ab, und ich hüpfte zum Wagen. Ich gab Dad die Kamera und schnallte mich hinten neben deinem Kindersitz an. Auch wenn es mir mit meinen zwölf Jahren schwerfällt, das zuzugeben, ich freute mich tierisch auf Disney World. Ich dachte an Sonnenschein, Disneylieder und Monorails und nicht eine Sekunde an den Brief von Dr. Rosenblad.
    Was heißt, dass alles, was danach geschah, meine Schuld war.
    Wir schafften es noch nicht einmal bis zu den bescheuerten Teetassen. Bis wir endlich im Hotel waren, war es bereits Spätnachmittag. Wir fuhren zum Park und hatten gerade die Main Street, U.S.A. , betreten – mit direktem Blick auf Cinderellas Schloss –, als die Katastrophe ihren Lauf nahm. Du sagtest, du hättest Hunger, und so gingen wir in einen auf altmodisch getrimmten Eissalon. Dad stellte sich an und hielt dich an der Hand, während Mom Servietten zu dem Tisch brachte, an dem ich schon saß. »Schaut mal«, sagte ich und zeigte nach draußen auf Goofy, der einem schreienden Kleinkind die Hand schüttelte. In genau dem Moment hob Mom eine Serviette auf, die sie hatte fallen lassen, und Dad ließ deine Hand los, um sein Portemonnaie aus der Tasche zu holen. Du bist sofort zum Fenster gelaufen, um zu sehen, was ich da entdeckt hatte; dabei bist du dann auf einem winzigen Stück Papier ausgerutscht.
    Wie in Zeitlupe sahen wir, wie deine Beine unter dir nachgaben und du mit voller Wucht auf den Hintern fielst. Du hast zu uns aufgeschaut, und das Weiße in deinen Augen wurde blau – wie immer, wenn du dir etwas gebrochen hast.
    Es war fast so, als hätten die Leute in Disney World damit gerechnet, dass so etwas passiert. Kaum hatte Mom dem Mann hinter der Eistheke gesagt, dass du
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