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Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
Autoren: Karsten Flohr
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an. »Ich meine: Haben die beiden Kuppler, die diese Hochzeit des Jahres beschlossen haben, der Braut überhaupt schon etwas davon erzählt?«
    »Elisabeth …«, seufzte Wilhelm, »bitte! Hör auf mit deinem Gestichel. Wir leben nicht mehr im 19. Jahrhundert. Natürlich ist sie gefragt worden.«
    »Und du, wer hat dich gefragt? Oder haben sie es dir nur mitgeteilt, als Befehl sozusagen? Das sind sie ja gewohnt in ihren Kolonien.«
    »Es ist doch eine schon lange beschlossene Sache. Und jetzt sage ich dir was, damit du endlich deinen Frieden damit machen kannst: Erstens ist es gut für die Familien, zweitens ist Charlotte eine sehr charmante junge Frau, und drittens …«
    »Ich höre …«, sagte Elisabeth in die Pause hinein.
    Ein Räuspern von der Tür her unterbrach das Gespräch der Geschwister. Die Mutter stand im Türrahmen, groß gewachsen, in einem cremefarbenen, bodenlangen Kleid, das ihr volles und langes schwarzes Haar zur Geltung brachte. Sie war zweifellos eine der auffallendsten Frauen der Stadt. Viele vermuteten, dass das Ehepaar von Schwemer mehr der Schönheit der gebürtigen Französin wegen zu Bällen oder Empfängen bei Hof geladen wurde als wegen der Bedeutung, die der Kaiser den kolonialen Angelegenheiten beimaß.
    »Du solltest dich lieber um deine eigene eheliche Zukunft sorgen«, sagte sie zu Elisabeth, »anstatt deinen Bruder an einem solchen Tag nervös zu machen.«
    »Nervös?«, fragte Elisabeth in gespielter Besorgnis und sah ihren Bruder mitleidig an, »mache ich dich nervös, großer Held?«
    Ein Grinsen breitete sich auf Wilhelms Gesicht aus. »Was ist denn mit ihrer ehelichen Zukunft?«, fragte er an Elisabeth vorbei die Mutter.
    »Sie hat schon wieder einem Anwärter einen Korb gegeben«, antwortete diese resigniert. »Der dritte in sechs Monaten. Allmählich wird es etwas teuer – diese ewigen Bälle, nur damit sie endlich mal mit jemandem tanzt.«
    »Ich will aber nur einen großen Helden«, erwiderte Elisabeth, und ihre Augen strahlten trotzig, »einen, der gestürzte Pferde aus dem Schnee rettet!« Sie stellte sich in Tanzhaltung vor ihren Bruder. »Wenn so einer mich auffordern würde …«
    Helène konnte das Lachen nicht länger zurückhalten. Wilhelm legte einen Arm um die Taille seiner Schwester, die beiden tanzten ein paar Schritte Wiener Walzer durch den Raum. »Seid bloß froh, dass euer Vater das nicht mit anhört«, sagte Helène schließlich. »Für ihn sind diese Dinge tödlicher Ernst. Wenn eine Frau einem Mann einen Korb gibt, müsste er eigentlich auswandern.«
    »Genau, genau!«, rief Elisabeth, »sie sollten alle auswandern. Am besten zu den Hottentotten und Kaffern, anstatt die als Diener hierher zu holen.«
    »Glaub mir«, sagte Helène zu Elisabeth und wandte sich zum Gehen, »Männer haben durchaus Unterhaltungswert. Man musssie nur dazu bringen, sich hin und wieder auf die wichtigen Dinge zu besinnen.«
    »Zum Beispiel Kaiserparaden besuchen?«, fragte Elisabeth spitz.
    »Das ist nicht das, was ich meine«, antwortete Helène. »Aber es erinnert mich daran: Dein Vater erwartet dich, Wilhelm, der Chauffeur fährt in einer Viertelstunde vor. Und du«, sagte sie bestimmt zu Elisabeth, »kommst jetzt mit mir und stellst die Tischordnung für heute Abend zusammen.«
    Elisabeth zog eine Grimasse, hob die erneut am Boden liegende nasse Kleidung ihres Bruders auf und drückte sie ihm in den Arm. »Mein Held!«, flüsterte sie, als sie an ihm vorbei aus dem Raum ging.
    »Du bist die unmöglichste Tochter der Stadt«, hörte er Helène zu Elisabeth sagen, als die beiden sich über den Flur von seinem Zimmer entfernten. »Die Leute reden schon über dich.«
    »Seit wann kümmern Sie denn die Leute?«, entgegnete Elisabeth.
    Wilhelm stellte sich vor den Spiegel und setzte die weiße Husarenmütze auf, die er vom heutigen Tag an berechtigt war in der Öffentlichkeit zu tragen. Dann trat er einen Schritt zurück und betrachtete sich. Er war sich nicht sicher, ob ihm gefiel, was er sah.

Der Kaiser
    Der graue Morgen war einem strahlend blauen Vormittag gewichen, der die weißen Villen und Stadthäuser in der Gneisenaustraße mit dem frischen Schnee in den Vorgärten eins werden ließen. Der Menschenauflauf vor dem Haus Nr. 11 hatte sich aufgelöst, nachdem die Polizei die umgestürzte Droschke abtransportiert und der Besitzer das inzwischen durch einen Sack Hafer befriedete Pferd abgeholt hatte. Nur der demolierte Zaun des Grundstücks zeugte noch von den Vorkommnissen
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