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Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
Autoren: Karsten Flohr
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machte eine Pause, um dem Nachhall dieser Ankündigung zu lauschen. Als Wilhelm gerade anheben wollte, sich angemessen zu bedanken, hob der Vater die Hand: »Aber das ist noch nicht alles!« Er blickte triumphierend in die Runde. »Heute Abend erwarten wir Gäste«, sagte er.
    Das war insoweit nichts Besonderes, die Stadtvilla der von Schwemers war mehrmals im Jahr Austragungsort festlicher Bälle und Zusammenkünfte des alten Adels und des neuen Geldes Berlins. Seit der Freiherr vom Vize-Gouverneur der Kronkolonie Togo zum obersten Kolonialbeamten des Reiches aufgestiegen war, riss man sich in der Hauptstadt um Einladungen zu den glanzvollen Bällen in seinem Haus. Weshalb also erwähnte er es? »Und dann werden Gouverneur von Doering und ich die Verlobung unserer Kinder bekanntgeben – deine Verlobung mit Charlotte von Doering, mein lieber Wilhelm!« Er hielt den Atem an in Erwartung der Reaktion seines Sohnes.

Das Pferd
    In diesem Augenblick hörte man ein unterdrücktes Wimmern aus dem Wintergarten. Alle Köpfe wandten sich in diese Richtung und sahen Aiauschi, der mit einer Hand zum Fenster deutete. Die andere hielt er vor den Mund, um sich selbst am Schreienzu hindern. Sophie, die Haushälterin, die im Durchgang zwischen Salon und Wintergarten gestanden und die Handreichungen des Dienstpersonals bei Tisch überwacht hatte, eilte zu ihm und spähte aus dem Fenster. Dann schlug auch sie eine Hand vor den Mund. Als sie sich langsam zu den Übrigen umdrehte, hielt es keinen an seinem Platz, alle eilten zum Fenster.
    Es bot sich ihnen ein ungewohnter Ausblick. Im Vorgarten lag ein Pferd, hinter ihm eine umgestürzte Kutsche, aus der gerade ein Mann kletterte. Das Pferd strampelte mit den Beinen, versuchte, sich aufzurichten, und rutschte immer wieder aus. Hinter der Kutsche war der hohe, weiße Gartenzaun durchbrochen, auf der Straße hatte sich eine Mengenmenge angesammelt, die ungläubig das Geschehen beobachtete.
    Wilhelm war der Erste, der reagierte. Er eilte zur Hautür und lief durch die kniehohe Schneedecke um das Pferd herum zu dem Kutscher. Er reichte ihm eine Hand und zerrte ihn aus dem Fenster der umgestürzten Karosse. Der Mann blieb für eine Weile stocksteif stehen, dann knickten seine Beine ein, und er fiel zu Boden.
    Jetzt wandte sich Wilhelm dem Pferd zu, das mit weit aufgerissenen Augen im Schnee lag und dichte Wolken weißen Atems aus seinen Nüstern blies. Er kniete sich neben das Tier und strich ihm über die Nase. »Er sagt etwas zu dem Pferd«, flüsterte Adalbert, als würden es die anderen nicht selber sehen. »Und jetzt entfernt er die Deichsel aus dem Geschirr.«
    Wilhelm wusste, dass jede hektische Bewegung das verstörte Tier in Panik versetzen würde. Immer wieder strich er ihm über die Nüstern, während er mit der anderen Hand das Zaumzeug löste. Als das Pferd spürte, dass es von der Last der umgestürzten Kutsche befreit war, richtete es sich blitzschnell auf. Wilhelm hatte das vorausgesehen und sich auf den Rücken des Tieres gesetzt. Als es mit zitternden Beinen im Vorgarten stand, klopfte Wilhelm seinen Hals und seine Flanken, dann drückte er ihm die Hacken in die Seite und ritt langsam zur Rückseite des Hauses.
    Als er außer Sichtweite war, erhob sich ein Raunen, die erstenPassanten begannen zu applaudieren, bevor sie dem Kutscher, der inzwischen wieder auf seinen Beinen stand, halfen, die umgestürzte Kutsche aufzurichten. Aiauschi hatte die Vorgänge reglos beobachtet, jetzt, als das Spektakel vorüber war, wandten sich ihm die Köpfe der Bewohner langsam zu, war er doch der Erste gewesen, der den Vorfall bemerkt hatte, und somit irgendwie auch verantwortlich dafür. Aiauschi zog sich langsam und unter Verbeugungen aus dem Raum zurück, während die anderen ihm mit den Blicken folgten. Es herrschte völlige Stille, nur die Rufe der Menschen auf der Straße drangen gedämpft herein. Die Stimme des Freiherrn wirkte überlaut, als er emphatisch sagte: »Mein Sohn!«
    *
    Zum zweiten Mal an diesem Vormittag klopfte Elisabeth an die Zimmertür ihres Bruders, der sich nach dem Vorgarten-Abenteuer frisch gemacht und umgezogen hatte. Diesmal rief er: »Herein, es ist offen!« Elisabeth trat ein und sammelte als Erstes die auf dem Boden liegende und vom Schnee durchnässte Uniform ihres Bruders auf. »Wenn Charlotte wüsste, was für einen Helden sie bekommt«, sagte sie seufzend. »Weiß sie überhaupt schon von ihrem Glück?«, fragte sie und sah ihren Bruder von unten herauf
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