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Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
Autoren: Karsten Flohr
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mitkriegen. Sie haben schon genug gehört, was für Kinderohren ungeeignet ist, seit Wilhelm zurück ist.«
    Friderike sah sie groß an. »Dein Bruder – hier?! Wie geht es ihm?«
    »Er war verwundet, die Augen und die Bronchien. Vom Gas. Aber jetzt geht es allmählich besser. Im Gegensatz zu Robert: Er hat nur noch ein Bein.«
    Friderike ließ sich auf einen Sessel fallen. »Ist das der, der dir diese Briefe geschrieben hat?«
    Elisabeth nickte. »Und er hat mich hier sehr unterstützt, als ich mit den Jungen allein war. Sie mögen ihn sehr.«
    Friderike sah Elisabeth prüfend an. »Und du?«
    »Deine Neugier ist noch die beste unter deinen vielen schlechten Eigenschaften«, sagte Elisabeth. »Aber manchmal kann ich auch die nicht gut ertragen.«
    Friderike sah verdutzt auf, dann bemerkte sie Elisabeths Grinsen. »Ja«, sagte Elisabeth, »ja, ja, ja! Ich mag ihn! Aber das hat nichts mit uns zu tun – du bist die Königin meines Herzens! Trotzdem denke ich über den Antrag nach, den er mir gemacht hat.«
    Ein Räuspern ließ sie innehalten: Wilhelm stand im Raum. In der Hand hielt er einen Briefumschlag.
    *
    Das gemeinsame Abendessen, zu dem auch Robert eingeladen war, ließ Elisabeth ein ums andere Mal erröten: Sie wurde mit Lob überschüttet für ihre Steckrüben-Variationen. Es gab Steckrüben-Gratin, Steckrüben-Auflauf, Steckrüben-Mus, Steckrüben-Pfannkuchen und als Nachspeise Steckrüben-Gelee. Nachdem die Jungen schlafen gegangen waren, setzte man sich im Salon des Freiherrn zusammen und rauchte, die Frauen Manoli, Wilhelm und Robert Zigarren. »Ob er jemals wieder hier sitzen wird?«, fragte Wilhelm. »Ich war heute im Afrikahaus. Das Thema Kolonien scheint beendet, das Gebäude verrottet. Ich war in seinem Büro – es war, als beträte man ein altes Foto: Man kennt alles, was man sieht, aber irgendwie ist es nicht mehr real. Die Zeit ist darüber hinweggegangen.«
    »Nicht nur darüber wird sie hinweggehen«, sagte Robert. »Seit Amerika in den Krieg eingetreten ist, geht jetzt alles ganz schnell. Siegfriedstellung – so nennt die Heeresleitung unsere neue Rückzugsstrategie. Und sie ziehen sich immer weiter zurück. Bald sind wir raus aus Frankreich. Die armen Kameraden, die dort jetzt immer noch geopfert werden …!«
    Elisabeth meldete sich zu Wort. »Es gibt auch Erfreuliches in der Welt. In England wird das Wahlrecht für Frauen eingeführt. Ab dreißig zwar erst, aber immerhin – ein Anfang!«
    Friderike hob ihr Glas mit Steckrübensaft: »Darauf einen Toast! Frauen an die Urnen, Männer in die Urnen!«
    Robert und Wilhelm sahen sie entsetzt an, Friderike zog schuldbewusst den Kopf ein. »Entschuldigung, das ist mir so rausgerutscht! Ich weiß, wie viele in diesem Augenblick sterben. Es tut mir leid! Aber wenn Frauen gewählt hätten, wäre das …«
    Elisabeth legte eine Hand auf Friderikes Arm. »Lass gut sein«, sagte sie, »ich weiß, dass du es nicht böse meinst.«
    Später am Abend, als der Besuch gegangen war und Wilhelm und Elisabeth beisammen saßen, nahm er die Bilder aus dem Umschlag und legte sie vor Elisabeth auf den Tisch. Lange sah sie das Familienfoto an. »Es kommt mir jetzt schon so vor, als wäre es hundert Jahre her«, sagte sie.
    Wilhelm nahm das Bild aus der Oper zur Hand. »So empfinde ich es auch«, sagte er. »Ich kann mich noch gut an diesen Augenblick erinnern, aber er gehört einem anderen Leben an.« Er deutete mit dem Finger auf Charlotte, die hinter ihm stand undhalb zu erkennen war. »Robert hat mir erzählt, dass er ihr begegnet ist und dass sie auch in Zukunft als Krankenschwester arbeiten will. Ich wusste immer, dass sie etwas Besonderes ist. Charlotte wäre niemals glücklich geworden als Frau an irgendjemandes Seite. Auch nicht an meiner.«
    »Und du?«, fragte Elisabeth. »Was ist mit dir?«
    Wilhelm sah sie lange an. »Die Züge nach Straßburg verkehren wieder. Ich fahre, sobald du sagst, dass du mich hier entbehren kannst.«
    »Du bist natürlich unentbehrlich. Aber woanders noch mehr!« Sie ergriff seine Hand. »Morgen, gleich morgen. Ich werde dich zum Zug begleiten.«
    »Aber …«
    »Keine Widerrede. Ich habe die Jungen, die passen auf mich auf. Noch einen brauche ich nicht.«

Heimkehr
    Die Innenstadt war voller Menschen. Die Reichsfrauenkonferenz der Sozialdemokraten, die das Wahlrecht für Frauen forderten, wurde von Demonstrationen begleitet, für den Abend war eine große Kundgebung angekündigt. »Ich nehme an, dort wirst du den Abend
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