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Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
Autoren: Karsten Flohr
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dass Du annehmen müsstest, ich übertreibe. Ich habe auch Scheu davor, es Dir zu schildern, weil ich sicher bin, dass Du es schon schwer genug hast und ich Dich nicht noch mit meinen Kümmernissen bedrücken möchte. Wenn es Deine Zeit ermöglicht, schreib mir, bitte! Ich möchte wissen, wie es den Jungen geht! Umarme sie von mir. Die Kinder verstehen am allerwenigsten, was um sie herum geschieht. Dabei ist es ihre Zukunft, die von diesen Wildgewordenen zerstört wird. Es ist entsetzlich und unverzeihlich.
    Unser Haus ist jetzt ein Lazarett. Ich habe es dem Roten Kreuz zur Verfügung gestellt, Verwundete aller Nationen werden hier versorgt, bei vielen kommt die Hilfe zu spät. Ich hatte nie geahnt, auf wie viele Arten Menschen sterben können. Lagarde liegt immer noch in Trümmern, beinahe kein Haus ist unversehrt. Aber wir halten zusammen. Leider ist Rogér gestorben. Es geht mir fast ebenso nahe wie der Tod meiner Eltern.
    Die Zeiten, in denen wir als Familie zusammenlebten und – ich gebe es zu – stritten und kämpften, kommen mir vor, als lägen sie tausend Jahre zurück, sie haben mit diesem Leben nichts mehr gemein. Und ich fürchte, es wird nie mehr so sein. Ich habe nichts von Deinem Vater gehört, nichts von Deinem Bruder. Nur Dein Brief, in dem Du schreibst, dass sein Freund Robert in Berlin eingetroffen ist, hat mich ein wenig getröstet.
    Die Ärzte und Schwestern hier erscheinen mir wie Engel, die mir z eigen, dass es noch eine andere Welt gibt neben der Welt der Wahnsinnigen, die allerorten in Flammen aufgeht.
    Ich möchte Dich um Verzeihung bitten: Ich weiß, dass ich Dich viel zu wenig unterstützt habe in Deinem Bemühen, ein Leben zu führen, das Dir angemessen ist. Ich habe meine Loyalität als Ehefrau über alles gestellt. Die meisten Frauen tun das. Das ist unser Versagen. Jeder konnte den Irrsinn in den Augen dieser Männer sehen. Jetzt ist es zu spät.
    Ich umarme Dich und die Jungen und bete darum, dass dieser Krieg nicht so lange dauern möge, dass auch sie noch Opfer des Ungeheuers werden.
    Eines Tages werde ich bei Dir vor der Tür stehen. Bis dahin werde ich tun, was ich kann, um meine Schuld abzutragen.
    Deine Mutter

Wilder Friede
    Elisabeth wünschte sich, Friderike an ihrer Seite zu haben. Sie war auf dem Heimweg von einem Treffen des Frauenverbandes, gern hätte sie mit ihr über das Erlebte gesprochen. Der Versammlungsraum war aus allen Nähten geplatzt. Von Woche zu Woche kamen mehr Frauen zu den Treffen des Verbandes, für den nicht mehr geworben werden durfte, seit das Ministerium für Vaterländische Erziehung ihn neben vielen anderen Organisationen wegen ›subversiver und moralschädigender Aktivitäten‹ verboten hatte. An diesem Abend war es dennoch so voll wie nie zuvor. Thema war die Frage, wie man sich dem Hilfsdienst entziehen könne, der überwiegend aus Arbeit in den Waffenfabriken bestand.
    Anita Augspurg selbst war gekommen, sie reiste ununterbrochen durchs Land. »Lasst euch nicht einschüchtern!«, hatte sie am Ende der Versammlung gerufen, »je mehr von uns sich weigern, diesen angeblichen Dienst am Volk zu tun, desto weniger können sie dagegen unternehmen!«
    Tatsächlich waren in den vergangenen Wochen Frauen verhaftet worden, die unter Hinweis auf ihre Kinder und andere familiäre Verpflichtungen den Dienst verweigert hatten. »Sie versuchen ein letztes Mal, uns an den Platz verweisen, auf den wir ihrer Meinung nach gehören«, sagte Augspurg. »Es wird ihnen nicht gelingen, wenn wir zusammenhalten. Trefft euch auch außerhalb des Vereins, unterstützt euch gegenseitig!«
    Besondere Empörung bei den Frauen hatte der berühmte Wissenschaftler Max Planck hervorgerufen, der öffentlich davor gewarnt hatte, die Gleichberechtigung der Frauen nicht zu weit zu treiben, ebenso ein Aufruf des Oberlehrerverbandes, nicht an Schulen zu unterrichten, an denen es einen weiblichen Direktor gab.
    Die Straßenbahn verlangsamte ihr Tempo, die Fahrgäste reckten die Hälse, um zu sehen, was diesmal den Verkehr aufhielt. »Wie die Hyänen!«, zischte eine Dame, »nie kommt man pünktlich nach Haus, nur weil diese gierigen Weiber die Straße blockieren!«
    Elisabeth sah durch das Fenster eine Menschenmenge, die sich um eine der Suppenküchen drängte, die zweimal wöchentlich an bestimmten Straßenkreuzungen aufgestellt wurden. Der Hunger der Menschen vor allem in den Arbeitervierteln hatte dazu geführt, dass Lebensmittelgeschäfte geplündert worden waren. Die Ausgabe
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