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Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
Autoren: Karsten Flohr
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sehr schwergefallen. Immer wieder hatte sie es hinausgezögert, doch schließlich gab es keine Ausreden mehr: Sie konnte Sophie nicht mehr bezahlen. Helene Bechstein hatte ihr angeboten, sich an den Kosten für das Personal zu beteiligen, zumindest so lange bis der Freiherr zurückgekehrt sein würde oder Klarheit über seinen Verbleib herrschte. Elisabeth hatte abgelehnt. »Solange ich nicht weiß, ob wir Schulden irgendwann zurückzahlen können, möchte ich keine machen«, sagte sie.
    Sophie hatte es ihr nicht leichtgemacht mit ihrem Angebot, auf die Hälfte ihres Lohns zu verzichten, wenn sie bleiben dürfe. Als Elisabeth darauf nicht einging, bot sie sogar an, bis auf weiteres ohne Lohn zu arbeiten, viele Hausangestellte täten das in diesen Tagen, es kämen auch wieder bessere Zeiten und es sei doch wichtig, dafür zu sorgen, dass dieser Krieg nicht alles zerstöre.
    Als Elisabeth auch diesem Vorschlag nicht zustimmte, sondern stattdessen einen Umschlag mit dem Restlohn für den laufenden Monat sowie für zwei weitere Monate aus der Schublade des Küchentischs nahm und vor Sophie legte, weinte diese. Dann ergriff sie den Umschlag, nahm den Monatslohn heraus und schob das übrige Geld zu Elisabeth hinüber. »Sie werden es brauchen, gnädige Frau«, sagte sie. »Die beiden Jungen sind hungrige Kerlchen. Und nur mit Steckrüben werden sie sie nicht satt bekommen …«
    Schon das Wort hasste Elisabeth mittlerweile: Steckrüben wurden als Allheilmittel gegen die Versorgungsengpässe und Nahrungsmittelknappheit gepriesen, der Kaiser ließ Fotos von sich und seiner Familie bei einem leckeren Steckrübenessen veröffentlichen. Sie seien haltbarer, nährstoffreicher und überdies billiger als Kartoffeln, betonte er. Die Zeitungen veröffentlichten Rezepte für Frikadellen, Marmeladen und Kuchen aus Steckrüben. Adalbert und Karl konnten ihren Ekel nur schwer verbergen, betonten jedoch immer wieder, wie gut Elisabeths Steckrüben-Brotaufstrich sei, wenn sie ihr Schulbrot einpackten. Elisabeth tat so, als freue sie sich darüber, und darüber wiederum freuten sich die Jungen.
    Es war Robert zu verdanken, dass hin und wieder auch Fleisch auf den Tisch kam. Er wohnte in einem Versehrtenheim für Offiziere, deren Lebensmittelmarken großzügig bemessen waren.
    Nach einem Abendessen saßen er und Elisabeth am Tisch und rauchten. Die Jungen waren in ihr Zimmer gegangen. Es hatte Blutwurst mit Rosinen gegeben, dazu Kartoffelpüree und Apfelmus. Elisabeth paffte eine ägyptische ›Manoli‹, von denen sie sich mehrere Packungen aus Hamburg mitgebracht hatte, Robert sog an einer der Zigarren aus dem Salon des Freiherrn, die Elisabeth mit der Begründung zum Verbrauch freigegeben hatte, wenn er zurückkäme, würde er als Erstes ein riesiges Paket Zigarren auspacken. Das sei bislang nach jeder seiner Reisen so gewesen, und daran würde sich nichts ändern – nur über seine Leiche, hatte sie gesagt.
    Robert hob die Augenbrauen, und Elisabeth bemerkte ihren Fauxpas. »Das war nur so dahergesagt«, stellte sie klar, »natürlich werden wir ihn gesund und munter wiedersehen! Er ist unverwüstlich. Wie oft habe ihn schon zur Hölle gewünscht – es hat rein gar nichts bewirkt …«
    »Aber du«, sagte Robert, »du bist nicht unverwüstlich! Ich mache mir Sorgen, wie lange du diese Belastung noch durchhalten wirst. Du nimmst alle Aufgaben gleichzeitig wahr – und das ohne Personal! Und jetzt kommt auch noch der Hilfsdienst.«
    »Das wollen wir erst noch mal sehen!«, sagte sie angriffslustig. »Erst die Männer in den Krieg hetzen und dann die Frauen in die Fabriken schicken – das könnte denen so passen. Wer soll sich dann noch um die Kinder kümmern? Oder um die Kranken? Die Grippeepidemie hat schon eine halbe Million hingerafft – und die Ärzte sind alle an der Front.«
    »Du wirst dich dem nicht entziehen können. Das Gesetz sieht keine Ausnahme vor.«
    »Da ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Morgen gehe ich zum Potsdamer Platz, Liebknecht spricht. Es werden noch mehr Demonstranten erwartet als beim letzten Mal.«
    »Das ist gefährlich. Die Versammlungen sind verboten. Beim letzten Mal haben sie noch in die Luft geschossen, weil Frauen und Kinder dabei waren. Diesmal werden sie keine Rücksicht nehmen.«
    *
    Es war kaum ein Durchkommen zum Potsdamer Platz, schon die Zufahrtsstraßen waren verstopft. Tausende Menschen drängten sich um das Rednerpodest, als Karl Liebknecht, der Reichstagsabgeordnete und Pazifist,
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