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Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
Autoren: Karsten Flohr
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Durchgangstür des Wintergartens, in dem sich die reglosen Umrisse einer Gestalt abzeichneten: Aiauschi, der neue Hausdiener, den der Vater erst vor wenigen Wochen von einer seiner Reisen in die Kolonie Togo mitgebracht hatte. Aiauschi applaudierte nicht, er blickte geistesabwesend durch das Fenster hinaus in den Schnee.
    Beim Frühstück saß Wilhelm am Kopf des Tisches auf dem thronartigen Stuhl des Vaters, der normalerweise von hier aus der Familientafel vorstand, außer an ebenjenen Tagen, an denen einer seiner Lieben Geburtstag hatte. Rechts von Wilhelm saß Helène, die immer wieder unauffällig für einen kurzen Moment ihre Hand auf die ihres Sohnes schob. Wilhelm mochte diese Berührungen, trotzdem waren sie ihm peinlich. Seit er vor zwei Jahren die Ausbildung zum Husarenoffizier begonnen hatte, legte er Wert auf Männlichkeit. Bei den Husaren zählte nur eines: ein ganzer Mann sein! Wenn einer der Kameraden sähe, dass seine Mutter ihn von Zeit zu Zeit immer noch wie einen kleinen Jungen tätschelte, Wilhelm wäre vor Scham im Erdboden versunken. Und dafür schämte er sich dann doppelt. Denn er liebte Helène eben dafür, dass sie so ganz anders war als die übrigen Damen der Berliner Gesellschaft.
    Alle hatten ihre Aufmerksamkeit dem Vater zugewandt, der unaufhörlich schwadronierte. Daran war man gewöhnt bei Tisch, beim Frühstück jedoch war es für den einen oder anderen schwer zu ertragen. Erfreulicherweise gab es diese gemeinsamen Morgenmahlzeiten nicht alle Tage, der Vater war meist schon ausdem Haus und auf dem Weg zum Amtssitz seiner Behörde, wenn die anderen sich zum Essen niederließen, oder er war auf einer der langen Reisen, die seine Tätigkeit als Leiter des Kaiserlichen Kolonialamtes mit sich brachten. Das waren die Wochen, in denen die Familie sich entspannen konnte. Denn wenn er anwesend war, hieß es, ihm stets genau zuzuhören, es konnte jederzeit geschehen, dass er sich plötzlich an einen der am Tisch Sitzenden wandte und fragte: »Was habe ich eben gesagt?«
    Es war ratsam, dann sehr präzise seine Ausführungen wiedergeben zu können. Nicht, weil mit Sanktionen zu rechnen gewesen wäre, sondern weil es passieren konnte, dass der Freiherr bei Nichtgefallen der Antwort die Runde verließ und sich schmollend in sein Rauchzimmer zurückzog. »Hier interessiert sich keiner für das, was ich sage«, klagte er dann meist noch, bevor er den Raum verließ. »Ich verschaffe dem Reich ständig neue Untertanen und mehre das Vermögen der Deutschen unablässig, sogar der Kaiser leiht mir sein Ohr. Aber hier hört mir keiner zu …«
    Die leise gemurmelten Entschuldigen konnten ihn dann nicht umstimmen. Wilhelm argwöhnte schon lange, dass es seinem Vater in Wahrheit nur darum ging, nicht noch länger darauf warten zu müssen, sich nach dem Essen die Abendzigarre anzünden zu können. So war es an Helène, sich zu erheben, durch den Raum hinter ihrem Mann her zu eilen, der gerade die Tür zum Rauchsalon hinter sich schloss. Sie verweilte einen Moment davor, sah sich kurz um zu den unglücklich Dreinblickenden am Tisch, hob resigniert die Augenbrauen und klopfte dann. Ein barsches »Nein!« ertönte gewöhnlich von drinnen, woraufhin Helène den Türgriff nach unten drückte und eintrat. Die beiden blieben dann meist für mehrere Stunden im Salon. »Sie weiß, wie sie ihn nehmen muss«, flüsterte Elisabeth in die Runde der Verblieben. Als Älteste der vier Schwemer-Kinder fühlte sie sich für die gute Stimmung bei Tisch zuständig.
    Jetzt zog Helène die Hand von der ihres Sohnes zurück, als ihr Mann sich plötzlich erhob und mit seinem Bauch der Kaffeetasse gefährlich nahe kam. Schnell sprang eines der Mädchen herbei und entfernte die Tasse aus der Gefahrenzone. »Mein Sohn!«,hob Richard von Schwemer an, »du wirst dich sicherlich schon gefragt haben, wo denn die üblichen Geschenke für dich bleiben, zumal an einem so besonderen Geburtstag.« Wilhelm hatte sich ebenfalls erhoben, denn wenn der Vater einen ausdrücklich ansprach, war das durchaus angebracht. Außerdem drückte ihn die Husarenuniform im Nacken, und er nutzte gern die sich bietende Gelegenheit, das Jackett zurechtzurücken.
    »Und ein besonderer ist dieser Tag wirklich!«, fuhr der Vater fort. »Deshalb wirst du mich heute zum ersten Mal begleiten, um der Kaiserparade beizuwohnen«, sagte er und sah seinen Sohn strahlend an. »Du wirst mit mir und Kommerzienrat Rohrbach in der Ehrenloge des Café Kaiserhof sitzen.« Er
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