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Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
Autoren: Karsten Flohr
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geradeaus blickend. Der Federbusch auf seinem Helm wippte im Rhythmus der Bewegungen des Pferdes, ansonsten zeigte er keinerlei Regung. Das edle Tier tänzelte hin und her, machte Schritte zur Seite auf die Zuschauer zu. Der Jubel war ehrfürchtigem Schweigen gewichen, nur unterbrochen von vereinzelten »Hoch!«-Rufen. Es dauerte zwei Minuten, dann war Wilhelm II. aus dem Sichtfeld des Fensters verschwunden, weitere Trommler-Kolonnen beschlossen die Parade.
    Wilhelm war nicht entgangen, dass viele der um ihn Stehenden den Atem angehalten hatten. Jetzt, da das Schauspiel so gut wie vorüber war, strebten alle wieder ihren Tischen zu, lebhafte Gespräche über das soeben Erlebte entbrannten.
    Kommerzienrat Rohrbach beugte sich vor, berührte Wilhelms Vater am Unterarm: »Ganz kurz noch zum Geschäftlichen«, sagte er und blickte sich prüfend im Raum um. Der Freiherr nickte. Rohrbachs Blick fiel auf Wilhelm, sein Vater nickte erneut. »Er darf alles hören«, sagte er, ohne dass Rohrbach danach gefragt hatte. »Gut. Also«, hob dieser an, »bleiben wir dabei? Die Schürfrechte in Deutsch-Südwest für die Deutsche Bank, der Baukredit für Sie?«
    »Sie sprechen vom Kupfer?«, fragte der Freiherr.
    Rohrbach nickte und sah von Schwemer direkt an. »Und von Ihrem Bauprojekt.«
    Der Freiherr wich dem Blick aus und nickte, dann nestelte er seine Taschenuhr hervor und blickte mit gerunzelter Stirn darauf. »Wo bleibt …« In diesem Augenblick erschien ein Mann im grauen Straßenanzug am Tisch, seinen Hut in der einen Hand, mit der anderen ein Taschentuch über sein Gesicht führend, als habe er geschwitzt. Sein Anzug war staubig, die Naht des Jacketts unter dem linken Arm eingerissen. »Muthesius«, entfuhr es dem Freiherrn, »wo waren Sie …«
    Sein Blick glitt an dem Mann hinunter und wieder hinauf, dann fragte er: »Was ist passiert? Sind Sie unter ein Pferd geraten? Setzen Sie sich, erzählen Sie! Ober, ein Glas für den Herrn!«
    »Kein Pferd – Arbeiter.«
    Von Schwemer und Rohrbach sahen sich um, als wäre ein anstößiges Wort gefallen, das an den Nebentischen besser niemand mithören sollte. »Arbeiter?«, fragten sie wie aus einem Mund und beugten sich zur Tischmitte vor. Muthesius tat es ihnen gleich. Die drei sehen aus wie eine Verschwörergruppe, dachte Wilhelm.
    In der Zigarettenfabrik Manoli am Wedding sei es am Morgen zu spontanen Demonstrationen der Arbeiter gegen die neuen Zigaretten-Drehmaschinen aus Amerika gekommen, die angeblich ihre Arbeitsplätze gefährden. Die Polizei habe sofort angemessen reagiert und die neue kaiserliche Schutzmannschaft in Marsch gesetzt. Es gab Massenverhaftungen, viele Verletzte, Demonstranten verstreuten sich über das Stadtgebiet und versperrten die Zufahrtswege, auf denen die Kutschen und Autos der Bürger auf dem Weg zur Kaiserparade waren. »Da durchzukommen hat etwas gedauert«, sagte Muthesius lächelnd und hob entschuldigend die Hände. »Und meiner Jacke ist es offenbar auch nicht gut bekommen.«
    »Trotzdem, in aller Kürze, wenn Sie erlauben, und dann dürfen Sie sich umziehen gehen«, sagte der Freiherr: »Sie können uns das Grundstück in Zehlendorf besorgen und übernehmen die Planung meines neuen Anwesens?«
    »Zehlendorf?«, mischte sich der Kommerzienrat ungebeten ein. »Dorthin soll doch jetzt die neue Wannsee-Bahn gebaut werden? Ist das schon amtlich?«
    »Offiziell noch nicht«, antwortete der Architekt.
    Rohrbach wiegte anerkennend den Kopf: »Dann werden die Grundstückspreise dort im Kürze mächtig anziehen. Glückwunsch!«, sagte er in Richtung auf den Freiherrn.
    »Und der Auftrag für das neue Amtsgebäude der Afrika-Gesellschaft?«, fragte Muthesius.
    »Geht an Ihre Firma«, sagte von Schwemer leise.
    Hermann Muthesius erhob sich, verbeugte sich kurz in die Runde und strebte dann dem Ausgang zu. Der Freiherr zog erneut an seiner Uhrkette, klappte den Deckel auf und sagte nach einem Blick auf das Ziffernblatt: »Ich glaube, mein lieber Wilhelm, wir müssen uns auf den Heimweg machen.« Dann rief er dem Ober zu: »Bitte ordern Sie meinen Chauffeur.«
    »Und?«, fuhr er fort und sah Wilhelm an, »was sagst du zu unserem Kaiser?«
    »Ein bildschönes Pferd hat er«, antwortete Wilhelm, erhob sich und half seinem Vater beim Aufstehen.

Das Fest
    Die ersten Gäste, die auf der von Schnee und Eis befreiten Auffahrt zur Schwemer’schen Villa vorfuhren, waren Edwin und Helene Bechstein. Natürlich besaßen sie ein Auto, so wie alle anderen Gäste des
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