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Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
Autoren: Karsten Flohr
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Tochter sagen konnte, war es wieder Helene Bechstein, die das Wort ergriff: »Elisabeth!«, rief sie herzlich und trat auf die Tochter des Hauses zu. »Ich dachte schon, dir wäre etwas zugestoßen oder du wärest krank. Du ahnst gar nicht, wie erleichtert ich bin, dich gesund und munter zu sehen.« Nun erst schien sie die Bekleidung Elisabeths zu bemerken. »Oh! Die neueste Creatiòn des Hauses Drécoll!«, sagte sie und nickte anerkennend. »Dazu gehört Mut!« Sie lächelte in die Runde, »oder?«
    »Diese Weiber aus den Frauenvereinen tragen so etwas auch!«, schnaubte Frau Kommerzienrat und entfernte sich aus der Runde. Die Übrigen sahen unsicher von einer zur anderen. »Ja, so was kann nicht jeder tragen, das ist ein Vorrecht der Jugend«, sagte Helene Bechstein strahlend, legte einen Arm um Elisabeth und führte sie zum anderen Ende des Raumes. Helène von Schwemer lächelte dankbar, wieder einmal hatte ihre Freundin eine Situation gerettet. Aber ganz war das Thema für den heutigen Abend noch nicht vom Tisch, da war sie sich sicher.
    Wilhelm und Charlotte, eingerahmt von ihren Vätern, die beide zufrieden an ihren Zigarren sogen, schritten von Gruppe zu Gruppe, nahmen Glückwünsche entgegen und versprachen, niemanden bei den Hochzeitseinladungen zu vergessen. Wilhelm bemerkte, wie sich in Charlottes Nacken Schweißtröpfchen bildeten, ihn selbst ermüdete die Konversation mit so vielen ihm Unbekannten ebenfalls. Genau im richtigen Augenblick erschienen seine Mutter und Helene von Bechstein auf der Freitreppe, Aiauschi neben sich, der mit einem Stab auf den Boden klopfte. Als das lebhafte Gespräch im Raum erstarb, hob Helène an: »Ich habe, bevor wir den Abend für den Tanz eröffnen, das große Vergnügen, Ihnen mitteilen zu können, dass es meiner lieben Freundin Helene Bechstein gelungen ist, uns eine ganz besondere Attraktion zu bescheren. Meine lieben Gäste, wenn Sie nun bitte in den Salon zurückgehen wollen? Dort wartet ein Mann auf Sie, den aus der Nähe zu erleben nicht vielen vergönnt ist.«
    Erneut wurden die Türen des Salons geöffnet, der inzwischen umgeräumt worden war, die Tische waren entfernt, die Stühle in Reihen aufgestellt. Vorn glänzte ein Konzertflügel, an dem ein Pianist saß. Als alle Platz genommen hatten, trat hinter einem Vorhang ein kleiner, rundlicher Mann hervor – ein Raunen ging durch den Raum, vermischt mit einzelnen überraschten Ausrufen. Enrico Caruso stellte sich neben den Flügel, hob beschwichtigend seine kurzen Arme, nickte dem Pianisten zu, der zu spielen begann.
    Nachdem er »O sole mio« gesungen hatte, erhob sich das Publikum von den Sitzen, und frenetischer Jubel brach aus. Es folgten noch zwei Arien aus »Tosca« und »Carmen«, dann verschwand Caruso mit erstaunlich leichten und federnden Schritten wieder hinter dem Vorhang.
    »Nun – genommen oder gewonnen?«, fragte Helene Bechstein leise Frau Kommerzienrat Rohrbach, die neben ihr saß. – »Egal«, antwortete diese verträumt, »den würde ich so oder so nehmen. Diese Stimme …« Man sah, wie ihr ein Schauer durch den Körper lief.

Geschäfte
    Richard Freiherr von Schwemer und seine Frau eröffneten den Tanz, für den man eine Kapelle aus dem »Trocadero« engagiert hatte, dem beliebtesten Tanzlokal Berlins. Wilhelm begriff nun, was seine Eltern an den letzten Abenden hinter verschlossenen Türen geübt hatten: Sie legten einen perfekten »Onestep« auf dem Marmorboden der großen Halle hin, der Modetanz dieses noch jungen Jahres 1913, der den Tänzern viel Gelenkigkeit abverlangte. Schnell füllte sich die Tanzfläche, die Stimmung war nach wenigen Minuten auf dem Höhepunkt, selbst das Personal, das am Rand stand und die Champagnergläser der Tänzer hielt, wiegte sich im Rhythmus. Aiauschi stand reglos am Fuß der Freitreppe, als wolle er sie bewachen.
    Nur einmal trat er zur Seite, als eine kleine Gruppe von Männern, voran der Freiherr, die Treppe hinaufstieg und dem Arbeitszimmer zustrebte, darunter Wilhelm. »Mit deiner Schwester werden wir heute Abend noch ein Wörtchen zu reden haben«, sagte der Freiherr leise zu seinem Sohn. »Aber jetzt haben wir erst mal Wichtigeres zu erledigen.«
    Sechs Männer nahmen in den braunen Ledersesseln des Privatbüros des Freiherrn Platz. Von Schwemer blieb zunächst einen Moment stehen und ging zwischen den Sesseln auf und ab. »Meine Herren, mein Sohn wird ab sofort unseren Sitzungen beiwohnen, soweit es sein Militärdienst erlaubt. Er hat mein volles
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