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Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
Autoren: Karsten Flohr
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nicht wieder an unsere Mädchen heranmachen. Da gab es bekanntlich einige unschöne Vorkommnisse in Hamburg.« Er beugte sich vor und nahm eine Zeitschrift vom Tisch: Kolonien und Heimat . »Hier steht ausnahmsweise mal etwas sehr Bedenkenswertes, meine Herren«, sagte er und blätterte darin.
    »Nun machen Sie’s nicht so spannend«, sagte der Freiherr, »worum geht es da?«
    »Um die Bekleidung. Es wird die Frage erörtert, ob es für den Neger gut ist, europäische Kleidung zutragen. Die Antwort: ein deutliches Nein. Es ist nicht gesund für Menschen, die daran gewöhnt sind, mehr oder weniger nackt den Tag zu verbringen, auf einmal enganliegende Hosen zu tragen. Es ist eine Frage der Hygiene.«
    »Aber wir können sie doch hier nicht unbekleidet herumlaufen lassen!«, wandte Berndorff ein.
    »Natürlich nicht. Wir müssen sie eben außerhalb der Schauen mehr oder weniger unter Verschluss halten. Während der Schauen, wenn sie tanzen oder ihre Handwerkskünste vorführen, können sie ja gern so gekleidet sein, wie sie es von zu Hause gewohnt sind.«
    »Und wo wollen Sie sie unterbringen?«
    »Na ja, sie sind ja nur für ein paar Wochen hier. Die Tierparks werden schon irgendeine geeignete Möglichkeit finden.«
    Keiner der Anwesenden schien so recht davon überzeugt zu sein. Der Freiherr nickte bedächtig, dann wandte er seinen Blick seinem Sohn zu. Wilhelm schaute angestrengt auf sein Glas, von dem er noch kaum etwas getrunken hatte. Sein Vater schien eine Reaktion von ihm zu erwarten.
    Langsam hob er den Blick und sagte: »Man könnte sie ja als Bademeister im Volksbad einsetzen. Da sind ohnehin alle spärlich bekleidet.«
    Das Gelächter, das einsetzte, wirkte befreiend auf alle. Nur Wilhelm hatte das Gefühl, Land betreten zu haben, dessen Boden unter seinen Füßen schwankte.
    *
    Es ging auf Mitternacht, als sich das Haus allmählich leerte. Die ersten Gäste des Abends waren auch die letzten, die sich verabschiedeten. »Richard!«, rief Helene Bechstein noch, als sie schon fast zur Tür hinaus war, und kam noch einmal zurück in die Halle. Der Freiherr zuckte zusammen – so nannte ihn die Freundin seiner Frau nur, wenn sie »ein ernstes Wort« mit ihm zu reden hatte, was in der letzten Zeit mehrmals geschehen war. Sie war die Einzige, die das durfte, und ein wenig genoss er es, denn er verehrte Helene Bechstein insgeheim schon lange.
    »Richard«, sagte sie und zog ihn am Arm beiseite, »ein Wort noch zu Elisabeth. Nein, mach nicht so ein Gesicht! Du solltest deine Tochter mal aus ganz anderer Perspektive sehen, als du es für gewöhnlich tust.«
    »Andere Perspektive?«, wiederholte er aufgebracht, »sie bietet mir ja keine! Immer nur die eine: Sie lehnt alles ab, was ich bin und was ich mache.«
    »Unsinn, es geht nicht gegen dich. Sie gehört zu einer anderen Generation von Frauen als Helène und ich. Sie haben Ziele, an die wir nie gedacht haben. Sie wollen wählen dürfen, sie wollen an die Universitäten – und eben auch Hosen tragen.«
    »So einfach ist das nicht, meine Liebe«, antwortete der Feiherr. »Dieser Anzug ist ein Fanal! Sie will damit aller Welt zeigen, dass ich nicht der Herr in meinem eigenen Haus bin, dass man mir auf der Nase herumtanzen kann. Und das ist ihr heute Abend wieder einmal gelungen.«
    Helene Bechstein wich zurück, als sie merkte, dass er für ein besänftigendes Gespräch unter vier Augen nicht in der rich-tigen Stimmung war. Sie nickte begütigend und tätschelte ihm den Arm: »Dabei könntest du so ein umgänglicher Mann sein …«
    Seine Frau, die in diesem Moment hinzugetreten war, hatte den Halbsatz gehört und führte ihn zu Ende: »… wenn er nichtständig von den Staatsgeschäften so sehr in Anspruch genommen würde.«
    Richard von Schwemers Augen leuchteten auf. Er nickte: »So ist es! Es ist manchmal einfach zu viel, auch für den Stärksten. Aber schwach werden gilt nicht. Um mit Wilhelm zu sprechen – und ich meine jetzt nicht unseren Sohn –: ›Obrigkeit ist männlich.‹ Und so wird es auch bleiben. Anzüge für Frauen … so weit kommt es noch!«
    *
    Wilhelm war auf Wunsch des Vaters in den Rauchsalon gegangen und wartete dort auf ihn. Doch zuerst trat seine Mutter ein und schloss die Tür hinter sich. Sie hob resigniert die Arme. »Er will erst noch mit deiner Schwester ein Wörtchen reden«, sagte sie und ließ sich auf die Chaiselongue fallen. »Dass sie aber auch immer so übertreiben muss …« Wilhelm war aufgestanden und trat neben sie. »Ich
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