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Zeit des Lavendels (German Edition)

Zeit des Lavendels (German Edition)

Titel: Zeit des Lavendels (German Edition)
Autoren: Petra Gabriel
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sogar zu träge zu sein, um zu fließen. Es war völlig windstill, und die Schwüle drückte den Gestank aus den Abflussrinnen durch sämtliche Ritzen der Häuser. Aus dem Erdgeschoss eines Hauses drang das hohe Muhen eines Kalbes. Beinahe wäre Konz über ein Huhn gestolpert, das hektisch zwischen den Pflastersteinen nach Nahrungsresten pickte. Bedauernd blickte der junge Mann auf seine Begleiterin. Jetzt mussten sie sich trennen.
    »Da ist die Gerbermühle. Ich bin da.« Er zögerte. »Katharina ...?«
    Sie schaute fragend zu ihm auf.
    »Magdalena von Hausen ist nicht wie die anderen. Sie galt selbst in ihrer Jugend als Ketzerin, als Anhängerin Martin Luthers. Das hätte sie beinahe das Leben gekostet, als sie vor dem Tribunal stand. Du weißt das auch. Und sie hat dafür gesorgt, dass du als Magd im Stift aufgenommen und gut behandelt wurdest. Selbst Unterricht lässt sie dir geben. Sie tut, was sie kann, um die Ungerechtigkeit zu lindern.«
    »Aber es ist trotzdem nicht gerecht, es ist einfach nicht gerecht. Warum kann ich nicht auch Stiftsfräulein sein? Mich wird noch nicht einmal ein Mann nehmen. Ich habe keine Mitgift anzubieten, außer mich selbst. Der Teufel soll sie holen, die Adligen und die Pfaffen, den Domherrn Jakob Murgel, den Dekan Ditzlin, den Bischof und überhaupt das ganze Stift.« Das Mädchen schluchzte fast. Abrupt drehte sie sich von ihm fort und hastete weiter. Er sah ihr nach, hörte das Geräusch ihrer nackten Füße auf dem Kopfsteinpflaster; ihm dröhnte der Kopf. Und als der Donner näher und lauter grollte, schien es ihm, als künde der Himmel selbst vom Untergang dieser Welt.
    Im Laufen schaute Katharina noch einmal auf ihre leeren, schwieligen Hände. Plötzlich spürte sie einen scharfen Schmerz im Fuß. Sie hockte sich auf das schmutzige Pflaster und fluchte. Natürlich, so etwas passierte nur den Armen. Vorsichtig zog sie einen Dorn aus ihrer Fußsohle. Sie musste ihn sich beim Lauf über die Wiesen und durch das Gestrüpp in die Ferse getreten haben. Doch noch mehr schmerzte es, dass Konz Magdalena von Hausen verteidigt hatte. Er musste es doch besser wissen. Es ließen sich leicht gute Worte finden, wenn der eigene Magen nicht ständig knurrte. Die Dienstleute bekamen Mehlsuppe, Grütze und Kraut, nur an hohen Feiertagen gab es einmal Fleisch. Gut, andere waren noch schlimmer dran. Die alte Nele zum Beispiel, die sich jeden Tag die Küchenabfälle aus der Stiftsküche abholte. Den Rest bekamen die Schweine.
    Da tafelten die Stiftsdamen und die drei Chorherren schon anders. Wild, frischer oder geräucherter Lachs aus dem Rhein, Forellen aus den eigenen Fischteichen, Gemüse und was Küche und Keller hergaben an gutem Wein. Ein steter Strom an Waren floss von den Vorposten des Stiftes, den Dinghöfen, und aus dem weit verstreuten Stiftsland heran. Wahrlich, die Kirche sorgte für ihre Diener. Allerdings nur für die Wohlgeborenen, die Studierten, die Pfaffen. Es war einfach nicht gerecht. Das hatte Konz Jehle doch selbst gesagt. Erst gestern.
    »Der Teufel soll euch alle holen!« Der Satz war ihr laut herausgerutscht. Sie schlug die Hand vor den Mund. Konz hatte Recht. Sie musste endlich lernen, ihre Zunge im Zaum zu halten, sich nicht von ihren Gefühlen überwältigen zu lassen.
    Hastig rappelte sie sich hoch, bekreuzigte sich und sah sich um, ob sie auch niemand beobachtet hatte. Direkt neben ihr knallte eine Ladung Dreckwasser aufs Pflaster und spritzte sie von oben bis unten nass. Katharina sah noch Jungfer Elisabeths blonden Schopf, der sich hastig vom Fenster zurückzog. Dieses Biest.
    Der Himmel war inzwischen völlig schwarz. Zwischen den Tannen auf den Hügeln im Norden der Stadt zuckte ein Blitz ins Tal. Die ersten schweren Tropfen des Gewitterregens prasselten auf das Pflaster. Himmel, sie musste schnellstens ins Stift.
    Unsanft fühlte sich Katharina am Arm gepackt. »Da bist du ja endlich, Mädchen! Irgendwann schläfst du noch ein, immer bist du unpünktlich. Jetzt beeil dich aber! Magdalena von Hausen hat schon mehrmals nach dir fragen lassen. Wehe, wenn die neue Äbtissin nicht mit dir zufrieden ist.«
    Heftig befreite sich das Mädchen aus dem schmerzhaften Griff von Lehrschwester Mechthild. Trotz ihrer fast 60 Jahre konnte sie noch kräftig zupacken — und zuschlagen. Seit Jahren kümmerte sie sich um die kleinen Stiftsfräulein, wenn sie kamen. Aber nun waren schon lange keine mehr eingetroffen. Deshalb drangsalierte sie halt die Dienstboten.
    Alter Drache!,
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