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Zeit des Lavendels (German Edition)

Zeit des Lavendels (German Edition)

Titel: Zeit des Lavendels (German Edition)
Autoren: Petra Gabriel
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Chorherren des Kapitels formierten sich vor dem Altar. Vorne der Priester mit den Ministranten, dann ein golden ziseliertes Glaskästchen auf einem Kissen, getragen von einem weiteren, ehrwürdig wirkenden Herrn. Es folgte die dunkelhaarige Magdalena von Hausen, das Madonnengesicht fast unbewegt. An ihrer Seite schritt der stattliche, hoch gewachsene Jakob Murgel, dunkelhaarig wie sie. Er war etwa 40 Jahre alt, schätzte Katharina, als sie ihn beim Näherkommen betrachtete. Und er war auf seine arrogante Weise sogar gut aussehend. Sie sah, dass viele Frauen ihn verstohlen musterten — der Gang war aufrecht und kraftvoll, die Brosche, die den Umhang hielt, sorgsam gesteckt. Doch wenn er vorbeiging, senkten sich die Blicke schnell. Katharina beobachtete, dass selbst der mächtige und reiche Großmeier, Hans Jakob von Schönau, der oberste Richter für die weltlichen Angelegenheiten des Stiftes, die Schultern unter dem Pelzkragen leicht hochzog, als ihn diese eisblauen Augen streiften.
    Langsam bewegte sich der Zug durch den Gang zwischen den Kirchenbänken auf das große Portal zu. Die Menschen, die sich hinten im Münster drängten, rückten zur Seite, um dem Zug Platz zu machen. Katharina, die direkt am Mittelgang stand, presste sich so eng wie möglich gegen die anderen.
    Plötzlich fühlte sie, dass Murgels Blick auf ihr ruhte. Schnell senkte sie ebenfalls den Kopf. Doch sie konnte förmlich spüren, wie seine Augen langsam über ihr Gesicht glitten, hinunter zum Ausschnitt ihres Mieders. Katharina bekam am ganzen Körper eine Gänsehaut. Noch nie war sie sich so ausgeliefert vorgekommen. Die Schamröte stieg ihr ins Gesicht. Fast ohne es zu wollen, hob sie die Hand und raffte den Rand des Unterkleides enger zusammen. Gleich darauf wandte Murgel sich wieder seiner dunkelhaarigen Begleiterin zu. Er schien völlig unberührt, als hätte er sie nicht gerade abgeschätzt wie eine Kuh, die zum Verkauf steht. Doch er hatte sich ein genaues Bild von ihr gemacht. Da war sie sich sicher. Sie wand sich innerlich. Die kleine Ader an ihrem Hals pochte heftig. Am liebsten wäre sie im Erdboden versunken.
    Eingeschüchtert und verlegen blickte sie schließlich verstohlen um sich, um festzustellen, ob jemand diese Szene bemerkt hatte. Das schien nicht der Fall. Alle Augen in diesem Gotteshaus blickten gebannt in Richtung des Zuges, der sich langsam durch die Kirche schob. Als der Priester und seine Ministranten etwa in der Mitte des Kirchenraumes angekommen waren, erhoben sich auch die Menschen vor dem Chorraum von ihren Stühlen und schlossen sich der Prozession an.
    Brütende Hitze und gleißend helle Sonnenstrahlen drangen in die Kirche, als die großen, geschnitzten Türen des Münsterportals aufschwangen. Weiter, Reihe um Reihe, erhoben sich die Menschen, noch benommen vom Weihrauch. Einige blinzelten, als ihnen die blendende Mittagssonne in die Augen fiel. Zu lange hatten sie in der diffusen Dämmerung des Gotteshauses verbracht. Niemand sprach. Nur das Rascheln der Gewänder war zu hören, als einer nach dem anderen aufstand. Vorne durch das Portal drang mit der wärmenden Sommersonne plötzlich aufbrandender Jubel aus zahllosen Kehlen in die Kirche. Der Zug war ins Stocken geraten, nachdem Magdalena von Hausen und Jakob Murgel den Bogen passiert hatten.
    Plötzlich hörte Katharina den Klang einer tragenden Baritonstimme, die Jubelrufe verstummten. Es musste der Domherr sein, der da sprach. Katharina konnte ihn nicht sehen. Sie stand noch immer inmitten des Gesindes und einiger Bürger hinter der letzten Kirchenbank. So viele Menschen hatten sich ins Münster gedrängt, um der neuen Äbtissin ihre Reverenz zu erweisen, dass der Zug noch bis zum Chorraum reichte, als sich erst die vorderen Bankreihen geleert hatten.
    Doch, es musste der Domherr sein, der da sprach. Die ersten Worte brachten die Gewissheit. Denn ihm oblag es, die neue Äbtissin ihren Untertanen vorzustellen. »Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Die Abtei des Klosters des heiligen Fridolin, Sankt Augustini Ordens, ist ledig geworden. Kraft des mir übertragenen Amtes habe ich heute die edle Magdalena von Hausen zur Äbtissin bestimmt, zu wirken zur Ehre Gottes und seiner Mutter, der glorreichen Jungfrau Maria sowie der gesamten himmlischen Hierarchie und insbesondere des heiligen Fridolin, des ruhmreichen Patrons dieses Klosters. Beugt eure Knie und leistet den Eid der neuen Äbtissin als Herrin dieser Stadt, auf dass das Leben in
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