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Zeit der Stürme: Vier Highland-Kurzromane

Zeit der Stürme: Vier Highland-Kurzromane

Titel: Zeit der Stürme: Vier Highland-Kurzromane
Autoren: Diana Gabaldon
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ergriff ihn die Furcht, er könnte dem Arzt gerade seine Leiche versprochen haben, sollte er umkommen.
    »Ihr … rührt … mich … nicht an«, brachte er stockend heraus. »Keine … Messer. Leichenfledderer«, fügte er der Vollständigkeit halber hinzu, als ihm das Wort endlich einfiel.
    Hunter nickte. Er schien sich nicht beleidigt zu fühlen.
    Der Himmel war bedeckt; das einzige Licht kam von den Fackeln am Hauseingang. Nicholls war ein verschwommener, weißlicher Fleck, der sich ihm näherte.
    Plötzlich packte jemand Grey, drehte ihn mit Gewalt um, und er fand sich Rücken an Rücken mit Nicholls wieder, dem Herzen des kräftigeren Mannes verblüffend nah.
    Mist , dachte er plötzlich. Was für ein Schütze er wohl ist?
    Jemand sagte etwas, und er ging los – zumindest hatte er das Gefühl –, bis ihn ein ausgestreckter Arm stoppte. Er drehte sich um, weil jemand heftig gestikulierend hinter ihn zeigte.
    Oh, zum Teufel , dachte er erschöpft, als er sah, wie sich Nicholls’ Arm senkte. Es ist mir egal.
    Er blinzelte, als er das Mündungsfeuer sah – der Knall ging im erschrockenen Aufkeuchen der Menge unter –, dann stand er einen Moment lang da und fragte sich, ob er wohl getroffen worden war. Es schien jedoch alles beim Alten zu sein, und neben ihm drängte ihn jemand zu feuern.
    Vermaledeiter Poet , dachte er. Ich verschenke den Schuss, und dann reicht es. Ich möchte nach Hause . Er hob den Arm und zielte senkrecht in die Luft, doch sein Arm verlor eine Sekunde die Verbindung zu seinem Gehirn, und sein Handgelenk erschlaffte. Er korrigierte sich mit einem Ruck, und seine Hand spannte sich am Abzug. Ihm blieb kaum Zeit, den Lauf zur Seite zu reißen, als er auch schon feuerte.
    Zu seiner Überraschung stolperte Nicholls ein wenig, dann setzte er sich ins Gras. Er stützte sich auf eine Hand, warf den Kopf zurück und umklammerte mit der anderen theatralisch seine Schulter.
    Inzwischen regnete es in Strömen. Grey kniff die Augen zu, um seine Wimpern vom Wasser zu befreien, und schüttelte den Kopf. Die Luft schmeckte scharf wie zerschnittenes Metall, und einen Moment lang hatte er den Eindruck, dass sie … violett roch.
    »Das kann nicht richtig sein«, sagte er laut und stellte fest, dass er anscheinend das Sprachvermögen wiedererlangt hatte. Er drehte sich zur Seite, um mit Hunter zu sprechen, doch natürlich war der Arzt zu Nicholls hinübergelaufen und blickte ihm in den Hemdkragen. Grey sah Blut auf dem Stoff, doch Nicholls weigerte sich, sich hinzulegen, und gestikulierte wild mit der freien Hand. Ihm lief Blut aus der Nase; vielleicht kam es daher.
    »Kommt mit, Sir«, sagte eine leise Stimme an seiner Seite. »Es wirft sonst ein schlechtes Licht auf Lady Joffrey.«
    »Was?« Überrascht erblickte er Richard Tarleton, der in Deutschland sein Fähnrich gewesen war und jetzt die Uniform eines Lancierleutnants trug. »Oh. Ja, das stimmt.« Duelle waren in London verboten; ein Skandal, wenn die Polizei Lucindas Gäste vor ihrem Haus festnehmen würde – ihr Mann, Sir Richard, würde alles andere als erbaut sein.
    Das Publikum war bereits verschwunden, als hätte es sich im Regen aufgelöst. Die Fackeln an der Tür waren gelöscht worden. Gerade halfen Hunter und noch jemand Nicholls auf, und er schwankte durch den zunehmenden Regen davon. Grey erschauerte. Der Himmel wusste, wo sein Rock oder sein Umhang waren.
    »Ja, gehen wir«, sagte er.
    GREY ÖFFNETE DIE AUGEN.
    »Habt Ihr etwas gesagt, Tom?«
    Tom Byrd, sein Kammerdiener, hatte einen Huster ausgestoßen wie ein Schornsteinfeger, und zwar vielleicht dreißig Zentimeter neben Greys Ohr. Als er sah, dass er sich die Aufmerksamkeit seines Brotherrn gesichert hatte, hielt er ihm mit beiden Händen die Nachtschüssel hin.
    »Seine Durchlaucht ist unten, Mylord. Mit Ihrer Durchlaucht.«
    Grey blinzelte das Fenster in Toms Rücken an, dessen geöffnete Vorhänge ein trübes Quadrat verregneten Lichtes freigaben.
    »Ihre Durchlaucht? Was, die Herzogin?« Was konnte nur geschehen sein? Es konnte kaum später als neun Uhr sein. Seine Schwägerin unternahm niemals einen Besuch am Vormittag, und er hatte auch noch nie erlebt, dass sie seinen Bruder tagsüber begleitete.
    »Nein, Mylord. Die Kleine.«
    »Die Kleine – oh. Meine Patentochter?« Er setzte sich hin. Er fühlte sich gut, wenn auch merkwürdig, und er nahm Tom die Schüssel ab.
    »Ja, Mylord. Seine Durchlaucht sagt, er möchte mit Euch über ›die Ereignisse des gestrigen Abends‹
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