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Zeit der Sinnlichkeit

Zeit der Sinnlichkeit

Titel: Zeit der Sinnlichkeit
Autoren: Rose Tremain
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sind.
    Mein Blick ruht jetzt auf der Eingangstür. Ich muß an ihre Schwere denken und an die Freude, die ich immer empfunden hatte, wenn sie sich für mich öffnete und ich hineinging und hörte, wie sie sich hinter mir wieder schloß – so, als hätte ich schon immer gewußt, daß mir das Haus nur für ganz kurze Zeit gehören würde.
    Die Tür öffnet sich. Will Gates kommt heraus, ihm folgt Cattlebury, und die beiden stehen nebeneinander da und blicken mir so benommen entgegen, als seien sie herausgekommen, um einen Kometen oder ein anderes wundersames Ereignis zu sehen. Ich muß bei ihrem Anblick lächeln und rufe: »Will! Cattlebury! Hier bin ich!«, doch sie können mich nicht hören, da ich, obwohl ich zu lächeln meine, in Wirklichkeit wie ein Kind weine und mich nicht soweit zusammennehmen kann, um meinen Tränen Einhalt zu gebieten, die so schnell und reichlich fließen, daß die ganze Szene vor mir zit
tert und schwankt und ich Schwierigkeiten habe, das Gleichgewicht auf meinem Pferd zu halten.
    Danseuse bleibt stehen, und ich steige ab und sehe, wie Will und Cattlebury mir die Hände entgegenstrecken. Ich nehme sie in meine, in jede Hand eine, halte sie sehr fest und bringe aus meinem erstickten Herzen eine Salve meines alten Lachens hervor.
    »Sir«, sagte Will, »Ihr seid sehr dünn geworden.«
    Ich nicke. Ich versuche zu sprechen.
    »Dem werden wir abhelfen, Sir Robert«, sagt Cattlebury, »mit Karbonaden.«
    »Ja«, sage ich, »das werden wir. Mit Karbonaden.«
     
    Ich hatte mit meiner Vermutung, daß ich Bidnold in einem vernachlässigten und verfallenen Zustand antreffen würde, nicht recht gehabt.
    Wenngleich ohne einen Besitzer, macht jeder Raum auf Bidnold einen so sauberen, staubfreien und parfümierten Eindruck, als werde dieser erwartet.
    Nur wenig ist von meiner ordinären Inneneinrichtung übriggeblieben. Der Teppich aus Tschengtschau liegt noch auf dem Boden des Ruhezimmers, alle seine Farben sauber und strahlend, doch die Wände sind nicht mehr rot und golden, sondern mit einem taubengrauen Damast behängt, und die scharlachroten Sofas sind verschwunden. Der Raum ist großartiger als zuvor. Über dem Kamin hängt ein vergoldeter italienischer Spiegel. Die Polster aller Stühle und Fußbänke sind mit pfirsichfarbener Seide und preußischblauem Samt überzogen. Reiterportraits (nicht ganz ohne dorische Säulen und Waldgletscher) zieren die Wände. Es gibt einen Kartentisch aus Ahornholz, einen Tisch mit einem Schachbrettmuster
aus Ebenholz und Elfenbein und ein von dem Franzosen Florent-Pasquier gebautes Spinett. An den Fenstern hängen schwere, üppige Brokatvorhänge.
    »Ich hätte nicht gedacht«, sage ich zu Will, als ich mich in diesem schönen Raum umsehe, »daß der Viscomte einen so erlesenen Geschmack hat.«
    Will sieht verlegen aus. »Mir«, sagt er, »mir hat all Euer Scharlachrot und Rosa gefallen, Sir Robert.«
    Ich lache. Wir gehen weiter ins Speisezimmer, dem Schauplatz meiner Abendessen bei Kerzenlicht mit Celia. Mein Eßtisch aus Eiche steht noch auf seinem Platz, doch die Wände sind jetzt getäfelt, und die Decke ist voller Stukkaturen und gelber und blauer Malereien. Der Raum erweckt den Eindruck eines Prunksaals, fast abweisend in seiner Förmlichkeit, und ich bemerke noch einmal, zu Will, daß das Bild, das ich mir nach seinen Briefen von dem Viscomte gemacht hatte, sich von meinem jetzigen sehr unterscheidet.
    »Nun ja«, murmelt Will, »das mag sein, Sir, weil man in einem Brief nicht alles erzählen kann. Wegen der Kürze, oder weil einem die Worte fehlen, muß man vieles auslassen.«
    »Das stimmt schon, Will«, erwidere ich, »aber du hast in mir den Eindruck erweckt, daß er sich nicht richtig um das Haus gekümmert hat, und ich sehe nun, daß du dich darin geirrt hast, denn er hat es sehr hübsch eingerichtet.«
    Will zuckt mit den Schultern, die in einem neuen rostfarbenen Rock stecken. »Er kommt nicht mehr hierher«, meint er, »und ich hoffe, daß es dabei bleibt.«
    »Was wird dann aus all den Möbeln?«
    »Ich weiß es nicht, Sir Robert.«
    »Sollen sie für immer hinter Tüchern verborgen herumstehen?«
    »Ich kann es nicht sagen.«
    »Wie, Will?«
    »Ich kann nicht sagen, ob sie für immer unter Tüchern verborgen herumstehen werden.«
    »Wie sind denn die Anweisungen?«
    »Wie bitte, Sir?«
    »Welche Anweisungen hat der Viscomte im Hinblick auf die Einrichtung gegeben?«
    »Er hat keine gegeben.«
    »Keine? Er ist, ohne ein Wort zu sagen, einfach
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