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Zeit der Sinnlichkeit

Zeit der Sinnlichkeit

Titel: Zeit der Sinnlichkeit
Autoren: Rose Tremain
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hatte, fing ich an, von Bidnold zu träumen und mir vorzustellen, ich sei dort, liege auf dem chinesischen Teppich und atme den Duft von Holzrauch und Sonnenlicht und des Parfüms reicher Frauen ein. Der ganze Traum war so voller Zauber, daß ich, als ich daraus erwachte und sah, wie von allen Kerzen Talg auf den Boden tropfte, bewegungslos liegenblieb und nur die Augen schloß und versuchte weiterzuträumen.
    Nach dieser Nacht wurde ich nicht etwa krank und glitt auch nicht langsam in den Tod hinüber, sondern wurde vielmehr von einer ungeheuren Traumepidemie heimgesucht, so daß ich jede Nacht in Bidnold einschwebte, leicht wie eine Feder aufkam und über die Oberflächen aller Gegenstände streifte – über die polierten Tischflächen, den Brokat, der über die scharlachroten Sofas gebreitet war, den milchigen Satin der Kissen, die gestanzten Lederrücken der Bücher, den ausgezackten Zinnhenkel des Kohleneimers –, um dann vom Wind wieder hoch in die Luft gehoben zu werden, wo ich wie ein Geist über dem Park hing und Farbe in mich aufsog, so daß ich dick wurde von dem Violett der Buchen und dem satten Grün des Grases. Es kamen in diesen Träumen keine Menschen vor, und doch waren es ausgesprochen sinnliche Träume, von denen ich mich, wenn der Morgen kam, gar nicht trennen wollte. So fing ich an, sie in den Tag hinein auszudehnen, indem ich immer später aufstand, lange nachdem der Lautenbauer mit seiner Arbeit begonnen und der Lärm auf dem Fluß sein morgendliches Crescendo erreicht hatte. Ich wurde süchtig nach ihnen wie nach einem Opiat und machte meine Hausbesuche benommen von der Erinnerung an sie und von dem vielen Schlaf, den ich mir selbst aufer
legte. Ich wußte, daß ich versuchen sollte, dieses krankhafte Träumen abzuschütteln, doch schien ich nicht den Willen dazu zu haben.
     
    An einem Abend im April kam der Lautenbauer in mein Zimmer hinauf, um mir ein neues Instrument zu zeigen, dessen Klang so war, wie er ihn sein Leben lang in seiner Vorstellung gehört, aber bis dahin nie erreicht hatte.
    Um diese Vollkommenheit zu feiern, brachte er eine Flasche Sherry mit, und ohne recht zu merken, was wir taten, tranken wir sie nach und nach aus, so daß wir bis spät in die Nacht hinein zusammensaßen und dabei äußerst benebelt und töricht wurden. In meiner Trunkenheit erzählte ich dem Lautenbauer von meinen Träumen von meinem früheren Besitz und auch davon, daß ich jetzt jede Nacht wie ein Geist dorthin zurückkehrte und nicht glaubte, daß diese Träumereien je aufhören würden. Er sah mich an mit Augen, die nervös und leuchtend wie die eines Bussards waren, und sagte zu mir: »Warum geht Ihr nicht dorthin, Doktor Merivel? Warum seht Ihr Euch nicht noch einmal alles an, damit Ihr es nicht immer in Euren Träumen tun müßt?«
    Am nächsten Tag schrieb ich an Will Gates.
    Ich erzählte ihm, daß ich von einer großen Sehnsucht ergriffen sei, nach Bidnold zurückzukehren, nur für eine kurze Zeit, nicht länger als einen Tag und eine Nacht, um meine Erinnerung daran aufzufrischen und mit eigenen Augen »ein bestimmtes Zusammenwirken von Farbe und Licht zu sehen, Will, das es sonst nirgendwo auf der Welt gibt«. Ich schrieb, daß ich mich damit zufriedengeben würde, in einem der Dienstbotenzimmer zu schlafen, oder sogar im Stall zusammen mit Danseuse, da ich nur den einen Wunsch habe,
diesen Ort so zu besuchen, »als wäre ich unsichtbar, und ohne irgendwie vorzugeben, daß er mir gehört, oder zu versuchen, ihn wieder in Besitz zu nehmen, es sei denn in meinen Gedanken«.
    Während ich auf Wills Antwort wartete, wurden meine Norfolk-Träume eines Nachts von einem Whittlesea-Traum unterbrochen, und als ich daraus erwachte, faßte ich den Entschluß, wenn ich die Reise nach Bidnold wirklich unternehmen sollte, nicht direkt nach London zurückzukehren, sondern weiter zu den Fens zu reisen, um den Betreuern Näheres über Katharines Tod und das Überleben Margarets zu berichten und sie um ein anderes kleines Relikt von Pearce als Ersatz für das vom Feuer vernichtete Buch zu bitten. Nun, da ich mir auch den zweiten Besuch vorgenommen hatte, hielt ich diese Wallfahrt in die Vergangenheit nicht mehr für eine närrische und eitle Angelegenheit. Sie schien vielmehr eine Reise größter Bedeutung zu sein. Solange ich sie nicht gemacht hatte, würde ich nicht in der Lage sein, den Weg in die Zukunft, die in meiner Handinnenfläche aufgezeichnet war, oder in sonst eine Zukunft anzutreten und
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