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Zauberschiffe 05 - Die vergessene Stadt

Titel: Zauberschiffe 05 - Die vergessene Stadt
Autoren: Robin Hobb
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Zweibeiner ihren Untergang herbeiführen würden! Sie hätten Wintrow Vestrit aufgehalten. Stattdessen hatte er Die, die sich erinnert, entdeckt und befreit.
    Obwohl ihre Häute sich berührten und obgleich ihre Erinnerungen sich durch ihre Gifte miteinander vermischten, verstand sie nicht, was den Zweibeiner dazu gebracht hatte, sie zu befreien. Er war ein so kurzlebiges Geschöpf, dass die meisten seiner Erinnerungen sich gar nicht in sie einbrennen konnten.
    Sie hatte seine Sorgen und Schmerzen gespürt. Sie hatte gewusst, dass er seine kurze Existenz aufs Spiel setzte, indem er sie befreite. Der Mut dieses so kurzen Lebens hatte sie gerührt.
    Sie hatte die Missgestalten abgeschlachtet, als sie sie wieder einfangen wollten. Und als der Zweibeiner fast in der kochenden See ertrunken wäre, hatte sie ihn zu seinem Schiff geführt.
    Die, die sich erinnert, öffnete weit ihre Kiemen. Sie schmeckte ein Geheimnis in den Wellen. Sie hatte den Zweibeiner zu seinem Schiff gebracht. Doch das Schiff selbst hatte sie sowohl fasziniert als auch beunruhigt. Der silbriggraue Rumpf des Schiffes hatte das Wasser um sie herum mit Geruch erfüllt. Sie folgte ihm und sog den flüchtigen Geschmack von Erinnerungen ein.
    Das Schiff roch, und zwar nicht wie ein Schiff, sondern wie eine von ihrer Art. Sie war ihm jetzt zwölf Gezeiten lang gefolgt und verstand immer noch nicht, wie das sein konnte. Sie wusste sehr genau, was Schiffe waren. Die Altvorderen hatten ebenfalls Schiffe besessen, aber keines wie dieses. Ihre Drachenerinnerungen sagten ihr, dass ihre Art oft über solche Schiffe hinweggeflogen war und sie mit dem Luftzug ihrer mächtigen Schwingen spielerisch zum Schaukeln gebracht hatte. Normalerweise waren Schiffe kein Geheimnis, dieses hier jedoch war eines. Wie konnte ein Schiff nach Seeschlange riechen? Und zu allem Überfluss roch es nicht nur nach einer einfachen Seeschlange, sondern nach Einer, die sich erinnert!
    Ihre Pflicht trieb sie weiter. Dieser Instinkt war stärker als der Trieb zu fressen oder sich zu paaren. Es war Zeit, schon längst Zeit. Sie hätte mittlerweile unter ihresgleichen sein und sie auf den Pfad der Wanderung führen sollen, den ihre Erinnerungen so gut kannten. Sie sollte die schwächeren Erinnerungen der anderen mit ihren mächtigen Giften wachrufen. Der biologische Drang rumorte in ihrem Blut. Zeit für den Wechsel. Sie verfluchte erneut ihren verkrüppelten, grüngoldenen Körper, der sich so unbeholfen durch das Wasser wälzte. Sie hatte keine Ausdauer. Es war einfacher, im Kielwasser des Schiffes zu schwimmen und sich von seiner Bewegung durch die Fluten ziehen zu lassen.
    Also schloss sie einen Kompromiss mit sich selbst. Solange der Kurs des Schiffes mit dem ihren übereinstimmte, würde sie ihm folgen. Sie konnte seine Verdrängung nutzen, während sie selbst Kraft und Ausdauer sammelte. Außerdem wollte sie sein Geheimnis ergründen. Trotzdem durfte dieses Rätsel sie nicht von ihrem eigentlichen Ziel ablenken. Wenn sie näher an den Strand kamen, würde sie das Schiff ziehen lassen und ihre eigene Spezies suchen. Sie würde Knäuel von Seeschlangen finden und sie den großen Fluss hinauf zu ihren Kokongründen führen. Nächstes Jahr um diese Zeit würden dann die jungen Drachen ihre Flügel im Wind erproben.
    Das hatte sie sich während der zwölf Gezeiten geschworen, die sie dem Schiff bereits folgte. Doch mitten in dem dreizehnten Gezeitenwechsel hatte ein Geräusch ihre Haut zum Vibrieren gebracht, ein Geräusch, das gleichzeitig fremd und herzzerreißend vertraut war. Das Trompeten einer Seeschlange! Sie riss sich sofort aus dem Kielwasser des Schiffes los und tauchte ab, weg von den Ablenkungen der Wasseroberfläche. Die, die sich erinnert, stieß eine Antwort aus und wartete regungslos auf eine Erwiderung. Nichts.
    Sie war entmutigt. Hatte sie sich getäuscht? Während ihrer Gefangenschaft hatte es Phasen gegeben, in denen sie ihre Qualen immer und immer wieder laut heraustrompetet hatte, bis die Wände ihres Gefängnisses von ihrem Elend vibrierten.
    Als sie sich an diese bittere Zeit erinnerte, schloss sie kurz die Augen. Jetzt würde sie sich nicht quälen. Sie öffnete die Augen wieder und akzeptierte ihre Einsamkeit. Entschlossen drehte sie sich um und verfolgte das Schiff, das die einzige schwache Spur von Vertrautheit repräsentierte, die sie kannte.
    Durch diese kurze Pause nahm sie ihre Schwäche nur noch deutlicher wahr. Sie musste all ihre Willenskraft aufbringen, um
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