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Zauberschiffe 05 - Die vergessene Stadt

Titel: Zauberschiffe 05 - Die vergessene Stadt
Autoren: Robin Hobb
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alle Geheimnisse, die das Schiff barg. Sie hielt sie fest und drehte ihren Hals, damit sie ihr ins Gesicht sehen konnte. Sie beobachtete, wie die Augen des Männchens sich drehten und wieder ruhig wurden. Sie hielt es tausend Lebenszeiten lang fest, während ihm die Vergangenheit seiner ganzen Rasse wieder bewusst wurde. Schließlich erlöste sie es und sonderte die schwächeren Gifte ab, die sein Unterbewusstsein beruhigten und sein eigenes kurzes Leben wieder in den Vordergrund seines Bewusstseins treten ließen.
    »Erinnere dich!« Sie stieß diese Worte leise hervor und lud die Verantwortung all seiner Vorfahren auf seine Schultern.
    »Erinnere dich und sei.« Es hielt in ihren Umarmungen ganz still. Sie fühlte, wie sein eigenes Leben wieder zurückkehrte, als sein Körper der Länge nach erzitterte. Seine Augen drehten sich plötzlich wieder, und dann richtete sich sein Blick auf sie.
    Es wich vor ihr zurück. Sie wartete auf seinen Dank.
    Doch der Blick, den das Männchen ihr zuwarf, war anklagend.
    »Warum?«, begehrte es plötzlich auf. »Warum jetzt? Wo es schon für uns alle zu spät ist? Warum konnte ich nicht sterben, ohne zu wissen, was ich hätte sein können?«
    Seine Worte erschreckten sie so sehr, dass sie losließ. Das Männchen befreite sich mit einem verächtlichen Zucken aus ihrer Umarmung und schoss von ihr weg durch die Fluten. Sie wusste nicht genau, ob es floh oder sie einfach nur im Stich ließ. Beides schien ihr unerträglich. Das Erwachen seiner Erinnerungen hätte es mit Freude und Zuversicht erfüllen sollen, nicht mit Verzweiflung und Wut.
    »Warte!«, rief sie ihm hinterher, aber die dämmrigen Tiefen verschluckten es. Sie verfolgte es unbeholfen, obwohl sie wusste, dass sie es nicht würde einholen können. »Es darf nicht zu spät sein! Ganz gleich, was passiert, wir müssen es versuchen!« Sie trompetete die sinnlosen Worte in die leere Fülle hinaus.
    Das Männchen hatte sie abgehängt. Wieder war sie allein.
    Zunächst weigerte sie sich, das zu akzeptieren. Ihr verkrüppelter Körper taumelte durch das Wasser, und ihr Maul war weit aufgerissen, um den schwachen Duft wahrzunehmen, den das Männchen hinterließ. Er wurde immer schwächer und war schließlich verschwunden. Es war zu schnell, und sie war zu deformiert. Enttäuschung stieg in ihr hoch, die beinahe genauso betäubend wirkte wie ihre eigenen Gifte. Sie schmeckte erneut das Wasser. Jetzt war nichts mehr von der Seeschlange wahrzunehmen.
    Sie schlug auf ihrer verzweifelten Suche nach seinem Geruch immer weitere Bögen durch das Wasser. Als sie ihn schließlich fand, hämmerten ihre beiden Herzen vor Entschlossenheit. Sie peitschte mit dem Schwanz durchs Wasser, um ihn rasch einzuholen. »Warte!«, trompetete sie. »Bitte. Du und ich, wir sind die einzige Hoffnung für unsere Art! Du musst mir zuhören!«
    Der Geruch nach Schlange wurde plötzlich stärker. Die einzige Hoffnung für unsere Art. Dieser Gedanke schien durch die Fluten zu ihr zu dringen, als wären die Worte durch die Luft zu ihr gelangt und nicht durch die Tiefen zu ihr trompetet worden.
    Mehr Ermutigung brauchte sie nicht.
    »Ich komme!«, versprach sie und hetzte unermüdlich weiter.
    Doch als sie die Quelle des Schlangengeruchs endlich erreichte, war das einzige Geschöpf weit und breit der silbrige Rumpf, der die Wellen über ihr durchpflügte.

1. Die Regenwildnis

    Malta tauchte ihr provisorisches Paddel ins Wasser und zog es kräftig durch. Das kleine Boot glitt vorwärts. Schnell tauchte sie die Zedernplanke auf der anderen Seite des Kahns in die Fluten und runzelte die Stirn, als Wassertropfen von der Planke ins Boot tropften. Aber dagegen konnte sie nichts machen. Die Planke war das Einzige, was ihr als Ruder diente, und wenn sie nur auf einer Seite ruderte, drehten sie sich unweigerlich im Kreis. Sie wollte nicht daran denken, wie sich die beißenden Tropfen jetzt durch die Planken des Bootes fraßen. Ein kleines bisschen Regenwildwasser konnte sicher keinen so großen Schaden anrichten. Hoffentlich würde das pudrig weiße Metall am Rumpf den Fluss daran hindern, das Boot zu rasch zu zerfressen. Aber verlassen konnte sie sich darauf nicht. Sie unterdrückte den Gedanken. Es war nicht mehr weit.
    Ihr taten alle Knochen weh. Sie hatte die ganze Nacht geschuftet und versucht, sich nach Trehaug durchzuschlagen. Ihre erschöpften Muskeln zitterten vor Anstrengung. Wir haben es nicht mehr weit, hämmerte sie sich ein. Aber sie kamen nur quälend
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