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Zauberkusse

Zauberkusse

Titel: Zauberkusse
Autoren: Voosen Jana
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nicht erweichen. Ratlos sitzen wir einander gegenüber. »Woher weißt du überhaupt, dass deine Kräfte nicht mehr da sind?«
    »Das spüre ich.«
    »Könnte es nicht einfach Lampenfieber sein«, erkundige ich mich, doch sie schüttelt energisch den Kopf.
    »Sie sind weg, basta.« Damit verschränkt sie die Arme vor der Brust und verfällt in dumpfes Brüten.
    »Das glaube ich nicht.« Irgendjemand muss schließlich optimistisch bleiben. Ich schnappe mir das Deck Tarotkarten und halte es Thekla hin, die darauf schaut, als hätte sie so etwas noch nie in ihrem Leben gesehen. »Na los, leg mir die Karten.«
    »Ich sage doch, ich kann es nicht.«
    »Versuch es doch wenigstens«, rede ich auf sie ein. »Was haben wir schon zu verlieren?« Schließlich greift sie doch nach den Karten und beginnt, diese gemächlich zu mischen. Unauffällig linse ich auf meine Armbanduhr. Fünf Minuten vor zehn und die Alte tut, als hätte sie alle Zeit der Welt. Könnte sich ruhig ein bisschen beeilen. Ich sehe wieder hoch und blicke erstaunt in zwei zornesfunkelnde, steingraue Augen. In hohem Bogen wirft sie das Kartendeck von sich.
    »Das ist eine Frechheit«, faucht sie mich böse an, »leg dir deine Karten doch alleine.«
    »Was ist los?«, frage ich verwirrt. »Ich habe doch gar nichts …«
    »Die Alte hat keine Lust mehr, dir kostenlos ihre Künste zur Verfügung zu stellen«, meint sie beleidigt und steht auf. Einen Moment lang sehe ich sie verblüfft an, dann springe ich auf und umarme sie, ohne auf ihre Gegenwehr zu achten. »Lass mich los, was soll das?«
    »Alles in Ordnung«, jubiliere ich. »Du konntest meine Gedanken lesen.«
    »Aber wieso …« Sie braucht einen Moment, dann stiehlt sich ein zaghaftes Lächeln auf ihr Gesicht. »Du hast recht.«
    »Na eben, sag ich doch, das pure Lampenfieber.« Zufrieden tätschele ich ihr den Arm. »Gott sei Dank, dann ist es jetzt wohl Zeit für meine Rede.« Ich bin schon auf dem Weg nach draußen, als ihre klägliche Stimme mich zurückhält:
    »Und was ist, wenn ich nur noch Gedanken lesen kann, aber nicht mehr Kartenlegen?« Stumm drehe ich mich zu ihr um, verkneife mir einen vorwurfsvollen Kommentar und sammele die Tarotkarten auf, die überall auf dem Teppich verstreut herumliegen. Dann setze ich mich zu Thekla an den Tisch und sehe sie abwartend an. Konzentriert beginnt sie, die Karten auszulegen.
    »Und?«, erkundige ich mich. »Kannst du was sehen?«
    »Hmm«, meint sie nachdenklich und tippt mit dem Zeigefinger auf den Tisch, »ich sehe eine neue Liebe auftauchen. Und ich sehe ein Geschenk. Ein Geschenk von großer, symbolischer Bedeutung. Einen Abschluss.«
    »Aha, interessant«, sage ich und nicke. Eigentlich ist es mir im Moment egal, was immer sie mir prophezeit. Ich möchte einfach nur, dass sie ihr Selbstbewusstsein wiedererlangt und mir nicht den Abend ruiniert. »Hör zu, Thekla, ich glaube wirklich, dass dich nur das Lampenfieber gepackt hat«, versuche ich sie zu beruhigen. »Ist doch auch kein Wunder. All die Leute da draußen sind nur wegen dir hier«, trage ich dick auf. »Du kannst sie nicht enttäuschen.«
    »Dann los.« Ich drücke ihr noch einmal das kalte Schwitzehändchen und gehe voran. Die Musik wird leiser gestellt, das Gemurmel verstummt und ich halte meine kurze Ansprache, in der ich mich für das zahlreiche Erscheinen der Gäste und die tatkräftige Hilfe sämtlicher Beteiligter bedanke. Ganz in meiner Nähe entdecke ich sogar den Herrn vom Bauamt, der mit rotglühender Nase auf seinem Sessel sitzt und sich auf meine Kosten volllaufen lässt. Eigentlich hat er meinen Dank nicht verdient, so schwer, wie der mir das Leben gemacht hat. Aber heute ist mir alles egal, also beziehe ich ihn in meine Rede ein, woraufhin er über das ganze Gesicht zu strahlen beginnt. »So, ich hoffe, es hat jeder ein volles Glas Prosecco in der Hand, damit wir gemeinsam anstoßen können«, beende ich meine Ansprache und erhebe mein Glas. Dutzende von Gläsern klirren aneinander. »Wir haben einen herzhaften Snack vorbereitet«, fahre ich fort, während Nina, Lukas und Vanessa die beiden Suppentöpfe nebst Geschirr herbeischleppen und neben dem Tresen aufbauen, »und danach dürft ihr euch einen Eindruck von Madame Theklas Künsten verschaffen. Heute ist alles umsonst, wir hoffen, dass ihr uns im Gegenzug weiterempfehlen werdet.« Ich proste noch einmal in die Runde und gebe Lukas ein Zeichen, die Musik wieder lauter zu drehen. Dann flüchte ich mich schnell zu Loretta und
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