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Zauberkusse

Zauberkusse

Titel: Zauberkusse
Autoren: Voosen Jana
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zur Adventszeit hat es am frühen Abend wieder zu schneien begonnen, die Flocken tanzen im Schein der Straßenlaternen und bleiben als federleichte Puderzuckerdecke auf der Straße liegen. Die in Kerzenlicht getauchte Hexenküche muss von außen ein echter Anblick sein, dennoch wartet keine Schlange vor der Tür. Keine hippen Szenetypen, die lautstark Einlass begehren. »Oh Gott«, sage ich und fasse Lorettas Hand, »was mache ich denn, wenn überhaupt niemand auftaucht? Das überlebe ich nicht. Ehrlich, Loretta, ich sterbe.«
    »Das wird nicht passieren. Der Laden ist doch schon fast halbvoll, wenn alle Leute kommen, die wir persönlich eingeladen haben«, redet sie auf mich ein und versucht, sich aus meinem Klammergriff zu befreien. Da hat sie natürlich recht. Vorgestern bin ich meinen Telefonspeicher durchgegangen und habe all meine Freunde und Bekannten angerufen. Die ich zugegebenermaßen bei all der Hektik der letzten Wochen total vernachlässigt habe.
    »Vielleicht mögen die mich aber gar nicht mehr, weil ich mich so lange nicht gemeldet habe«, packt mich die späte Reue, »und boykottieren mich deshalb.«
    »So ein Quatsch. Sie freuen sich. Entspann dich. Es wird toll werden.«
    »Und wo steckt eigentlich Thekla?«, frage ich aufgeregt, ohne auf sie zu achten. »Eine Hexenküche ohne Hexe, das ist ja wie … wie … na, jedenfalls schrecklich. Sie wollte doch schon vor einer Stunde hier sein, um uns endlich in ihr Zimmer zu lassen.« Unser beider Blick fällt auf die dunkelrot lackierte Tür, um deren Rahmen sich eine künstliche Efeuranke mit dicken rosa Plastikrosen schlängelt. Niemand von uns durfte bisher einen Blick in den Raum dahinter werfen, eine Regelung, die um ein Haar zu einem Zerwürfnis zwischen Thekla und mir und damit dem Ende unserer Partnerschaft geführt hätte. Aber zum Glück nur beinahe. Schließlich bin ich dann doch eingeknickt und habe sie machen lassen. Aber jetzt würde ich dann doch ganz gerne mal einen Blick riskieren. Das ist doch nicht zu fassen! Ein Blick auf die uralte Standuhr in der Ecke bestätigt meine schlimmsten Befürchtungen.
    »Verdammt, wir haben nur noch zwanzig Minuten. Wo bleibt sie denn nur? Ich hätte es wissen müssen, dass auf Thekla kein Verlass ist«, rege ich mich auf und springe von meinem Sessel hoch.
    »Luzie«, beginnt Loretta, sich ebenfalls erhebend, aber ich bin nicht mehr zu bremsen.
    »Ist doch wahr! Wie konnte ich mich nur darauf einlassen? Jetzt sitze ich hier und habe keine Ahnung, wo die Dame sich rumtreibt.« Ein kühler Luftzug streift meinen Nacken und gleich darauf höre ich hinter mir eine Stimme:
    »Ich treibe mich nicht herum!«
    »Thekla! Weißt du eigentlich, wie spät es ist?« Ich fahre herum und bleibe wie angewurzelt stehen. »Und weißt du, dass es bis Weihnachten noch fast vier Wochen sind?«
    »Was soll das denn nun schon wieder heißen?«, erkundigt sie sich und rauscht an mir vorbei, den Schlüssel zum Heiligtum im Anschlag. Ungläubig betrachte ich ihre Aufmachung. Sie sieht tatsächlich aus wie ein Christbaum in ihrem weiten, dunkelgrünen, von Goldfäden durchwirkten Gewand, das bei jedem Schritt um sie herumwogt. Die plumpen Füße stecken in etwas zu engen, goldfarbigen Pumps, an jedem Finger funkelt ein Ring. Die unzähligen Ketten und Armreifen klirren bei jeder Bewegung leise vor sich hin. Die wild auftoupierte, rote Mähne und das extrem geschminkte, faltige Gesicht komplettieren den Auftritt. Hilfesuchend sehe ich zu Loretta hinüber, die sich kaum ein Lachen verbeißen kann, dann sinke ich zurück in meinen Sessel und beschließe, jetzt und hier zu sterben.
    »Das kann doch nicht ihr Ernst sein«, flüstere ich, kaum dass Thekla in ihrem Reich verschwunden ist. »Die macht mich ja total lächerlich. Was hat sie sich dabei nur gedacht?«
    »Ach komm, so schlimm ist es doch gar nicht«, versucht Loretta mich zu beruhigen. Höhnisch lache ich auf:
    »Nicht so schlimm? Hast du Tomaten auf den Augen? Du meine Güte, und ich dachte, ich wäre overdressed.« Loretta lässt ihre Augen über mein Outfit gleiten, eine leicht transparente, rosa Bluse mit Trompetenärmeln, dazu eine knielange, schwarze Hose im Cargo-Stil mit aufgesetzten Taschen und hochhackige Stiefel.
    »Du siehst super aus. Die Schuhe sind der Wahnsinn!«
    »Nicht wahr? Ich habe sie erst letzte Woche gekauft und sie waren auch noch herabgesetzt«, schwärme ich, bevor mir einfällt, dass ich im Moment ganz andere Sorgen habe. »Ist ja auch egal. Was
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