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Zärtlichkeit des Lebens

Zärtlichkeit des Lebens

Titel: Zärtlichkeit des Lebens
Autoren: Nora Roberts
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seit zehn Jahren in Manhattan lebte. Er mochte Woody Allen und Tolstoi und war Sarahs engster Vertrauter.
    »Sarah, Liebes.« Benedict kam mit zwei Gläsern ins Wohnzimmer. »Magst du lieber Goofy oder Donald Duck?«
    »Donald Duck.« Sie streckte die Hand nach dem Glas aus.
    »Aber du ähnelst Goofy viel stärker als ich.«
    »Danke.« Er setzte sich auf einen Umzugskarton ihr gegenüber.
    »Ich betrinke mich jetzt in aller Ruhe, Benedict«, verkündete sie, als sie ihr Donald-Duck-Glas hob und zuschaute, wie der Wein darin hin und her schwappte. »Dann verkrümle ich mich in den Schlafsack dort drüben und verbringe meine letzte Nacht in New York in einem Apfelweinnebel.« Sie neigte den Kopf und trank einen kleinen Schluck. »Wenn du magst, kannst du dich mir anschließen.«
    Benedict kratzte sich grinsend am Kopf. Eines der Dinge, die ihn an Sarah anzogen, war ihre Einstellung zur Sexualität. Sie war die leidenschaftlichste Frau, und die interessanteste, die er im Bett und außerhalb desselben je gekannt hatte. Mit Sarah zu schlafen war ein einziges Abenteuer. Er hob sein Glas. »Klingt verlockend.«
    »Ich habe mich richtig entschieden«, murmelte sie. Dann nahm sie zwei kräftige Schlucke. Da er ihre Art zu denken kannte, wußte Benedict, daß sie keine Antwort von ihm erwartete. Im Augenblick hätte sie genausogut auch allein sein können, dennoch spendete seine Anwesenheit ihr ein wenig Trost. »Es gibt überhaupt keinen Grund, warum ich an New York hängen sollte, bestimmt nicht, weil ich immer hier gelebt habe. Jetzt, wo Mom und Dad nicht mehr sind…« Sarah schloß die Augen und rieb sich mit Daumen und Zeigefinger die Nasenwurzel. Heilte die Zeit wirklich alle Wunden? Drei Monate hatten den Schmerz nicht gemildert, das unbestimmte, unbeschreibbare Gefühl von Schuld und Verrat. Sie fragte sich, ob eine sechsundzwanzigjährige Frau das Recht hatte, sich wie ein Waisenkind zu fühlen.
    Gelegentlich an seinem Wein nippend, schwieg Benedict während Sarahs Grübelei. Ihr Gesichtsausdruck verriet ihm, daß sie ganz in Gedanken versunken war. Sie wußte, daß Haladays Stellenangebot zu einem idealen Zeitpunkt gekommen war.
    Dadurch hatte sie etwas, in das sie sich hineinstürzen konnte, etwas, das ihre Gedanken beschäftigte, während die Trauer noch immer in ihr wütete. Das Vorstellungsgespräch bei Dave Tyson hatte nur einen Monat nach dem plötzlichen Tod ihrer Eltern stattgefunden.
    Nach Abklingen des ersten Schocks hatte Sarah eine ganze Skala von Gefühlen erlebt, angefangen von Kummer und Einsamkeit bis hin zu Zorn. Die Liebe zu ihren Eltern war eine beständige, unverbrüchliche Tatsache gewesen. Eines Abends hatten sich ihre Eltern warm eingekuschelt – in ihrem Bungalow in New Rochelle, dessen Hypothek nur mehr drei Jahre laufen würde und dessen Küche sie erst frisch tapeziert hatten. Am nächsten Tag lebten sie nicht mehr. Das Feuer hatte sogar das Haus verschlungen und nichts als Mauern übriggelassen. Keiner der kleinen Schätze einer achtundzwanzig Jahre währenden Ehe blieb erhalten: kein Foto, keine angeschlagene Tasse, keine Treppenstufe, die beim Heruntergehen auf der linken Seite knarzte. Alles nicht mehr da, dachte Sarah und spürte das vertraute Stechen von Schmerz und Wut. Fort, als hätte es all das nie gegeben. Ab und zu erinnerte sie sich an die muntere, sachliche Stimme ihrer Mutter oder einen von Vaters albernen, harmlosen Witzen.
    Warum lief das Huhn über die Straße? Weil die Ampel auf
Grün schaltete.
    Ach, Dad, du änderst dich doch nie.
    Natürlich hatte er sich nicht verändert. Dafür hatte er nicht mehr die Zeit gehabt. Ich hätte sie öfter besuchen sollen. Ich hätte mehr Zeit mit ihnen verbringen sollen. Man denkt, man hat Zeit, Zeit genug, und dann kommt etwas überraschend daher, und weg ist alles. Verfluchte Zeit. Ich schlage dich schon noch.
    Ich hinterlasse ein Zeichen. Mich wird nichts einfach so auslöschen, als hätte es mich nie gegeben. Zorn stieg in ihr auf, aber sie verdrängte ihn. Schau nicht zurück, sagte sie sich.
    Schau nach vorn, schnurstracks nach vorn. Für Haladay zu arbeiten bedeutete die größte Zäsur in ihrer beruflichen Laufbahn. Und das war erst der Anfang.
    »Wenn einem eine solche Chance geboten wird, dann muß man sie auch ergreifen«, sagte sie laut. Benedict sah sie liebevoll an. Er machte sich nicht die Mühe, sie wirklich zu verstehen, sondern genoß einfach ihre Anwesenheit.
    Sie hob den Blick und schaute ihm in die Augen. Dieser
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